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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 37. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Die Baronin erschien auf der Schwelle. Sie war in grauer Seide, hatte das große Goldkreuz auf der Brust und über dem blonden Scheitel eine weiße Barbe, die unter dem Kinn lose geschlungen war – ihr Gesicht erschien dadurch noch schmäler und länger, als es wirklich war.

Ihre Augen überflogen forschend das Zimmer, und auf den Wangen lag ihr ein schwaches Roth; dies wie das fieberische Funkeln ihres Blickes belebten die Erscheinung – die sonst mattgrauen Augensterne waren in diesem Augenblicke entschieden stahlfarben. Man sah, sie wollte imponiren; sie hielt den Oberkörper stolz und steif, als sei sie ihrer Rückenschwäche ledig.

„Ah, da bist Du ja, mein Freund!“ sagte sie sehr unbefangen. Sie erwiderte den ehrerbietigen Gruß der Handwerker mit einem kaum merklichen Kopfnicken und hielt ihrem Mann mit nachlässiger Grazie die Fingerspitzen hin. Sie schien gar nicht daran zu denken, daß sie ihn seit dem stürmischen Auseinandergehen im Atelier nicht wieder gesprochen.

Baron Schilling, der bei Robert’s Meldung rasch aus der Mauertiefe getreten war, empfing die Unerwartete mit kühler Zurückhaltung und berührte kaum die ihm hingestreckten Finger.

„Sieh da,“ bemerkte die Baronin, indem sie mit häßlichem Lächeln einen Blick auf das in dem Salon befindliche Instrument warf, „der Missethäter, der mir gleich am ersten Tage nach meiner Ankunft die heftigsten Nervenkrämpfe verursacht hat! Solch ein Klimperkasten – nimmt er sich nicht wunderlich aus, gerade in meinem Zimmer, Arnold? Er ist ein ausgesprochener Hohn auf mein ganzes Sein und Wesen. Hast Du gewußt, daß man dergleichen – Ueberfracht mitbringen würde?“

„Es wäre sehr überflüssig gewesen, mir das anzuzeigen“ versetzte er kurz. „Uebrigens ist dieses prachtvolle Instrument kein Klimperkasten, so wenig wie es in Deinem Zimmer steht – Du bewohnst die Beletage.“

„O, bitte recht sehr, mein Freund. Ich danke Gott, daß mit dem Vermauern dieses Spitzbubenweges der unheimliche Lärm verschwinden wird.“

„Es ist nicht Adam’s arme Seele gewesen, wie Du in Deiner Unfehlbarkeit apodiktisch festgestellt, und den ‚Spitzbubenweg’ haben Klosterbrüder angelegt, Clementine –“

„Verschwinden wird,“ wiederholte sie mit eintöniger, gleichmüthiger Stimme, seine boshafte Bemerkung völlig ignorirend. „Diese Räume habe ich in der ersten Zeit unserer Ehe bewohnt, und Du weißt, daß ich an meinen Rechten festhalte.... In der Beletage ist die Beleuchtung für meine empfindlichen Augen zu grell; ich muß hinter herabgelassenen Rouleaux; ohne frischen Luftzug halb ersticken. Hier dämpft der Säulengang wohlthätig das Licht. Das war der Grund, weshalb ich Dich wiederholt gebeten hatte, Dich wegen Beschleunigung der Reparaturen mit mir zu verständigen; Du wirst mir zugeben, daß ich auch ein Wort drein zu reden habe, wie und wann dieselben in Angriff genommen werden sollen – und deshalb bin ich jetzt gekommen. Ich brenne darauf, mich hier unten wieder einzurichten.“

Er lachte bitter und wandte ihr den Rücken, um die Handwerker zu entlassen, die ihre Untersuchung inzwischen beendet hatten. Ihnen auf den Fersen folgend, schien er mit den Leuten zugleich hinausgehen zu wollen.

„Nun – soll ich allein hier bleiben?“ rief sie empört, bewegte sich aber nicht von der Stelle; sie stützte vielmehr die Hand fester auf den Flügel, neben welchem sie stand.

„Hast Du mir noch etwas zu sagen?“ fragte er von der Schwelle aus zurück, nachdem die Leute das Zimmer verlassen hatten – er hielt das Thürschloß in der Hand. „Dann muß ich Dich bitten, mich in den Garten zu begleiten. Ich finde es nicht sehr anständig, so ungenirt in Räumen zu verhandeln, die uns augenblicklich durchaus nicht zur Verfügung stehen.“

„Mein Gott, wir haben ja doch nicht contractlich vermiethet. Uebrigens wird sich Dein Gast der Einsicht gewiß nicht verschließen, daß die Renovirung der zerstörten Wand an Ort und Stelle besprochen werden muß –“

„Wärst Du bei der Sache geblieben –“

„Aber ich bitte Dich, was habe ich denn Anderes berührt? Meine spätere Uebersiedelung in diese Wohnung ist ja eng damit verknüpft.... Uebrigens wirst Du mir zutrauen, daß ich diesen meinen Lieblingswunsch unterdrückt haben würde“ – sie sprach im Tone der ausgesuchtesten Höflichkeit – „wüßte ich nicht, daß die Mission im Schillingshofe zu Ende ist. Die Versöhnung ist erfolgt, notorisch erfolgt, wie ich mich täglich überzeuge; die Majorin Lucian wird ihre Enkel voraussichtlich in der Kürze reclamiren – dann steht die Wohnung hier leer, ehe man sich dessen versieht. Ich kann mir nicht denken, daß sich Frau von Valmaseda auch nur einen Tag länger, als absolut nöthig ist, in unserem einfachen Hause genügen läßt. Die Dame hat ihrem verstorbenen Bruder der Opfer genug und übergenug gebracht, wie ich recht gut einsehe. Und Du wirst ihr eben so wenig zumuthen, zu bleiben –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_609.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
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