Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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„Das nennt man landesherrliche Gnade!“ hatte er gerufen. „Wenn Serenissimus mit seinem guten, wohlwollenden Herzen doch wüßte, auf wessen Eingebung oft seines hohen Amtes Gnade und Ungnade geübt wird!“
Der Bürgermeister ließ sich den Umstand, daß die Bürgerschaft in dieser Frage gegen ihn auf Seiten des Richters stand, wenig kümmern; er begegnete der öffentlichen Aufregung und Mißbilligung gleichgültig und hochmüthig. Er mußte übrigens in der Residenz sehr gut angeschrieben stehen; denn eines Tages, als das amtliche Blatt die landesfürstlichen Ernennungen zur ersten Kammer veröffentlichte, stand auch der Name des Bürgermeisters darunter. Nun brachte er viele Monate des Jahres in der Residenz zu. Denn er war einer der wenigen Arbeiter in der hohen Pairskammer des kleinen Fürstenthums. Ein paar Prinzen, einige arme stiftsbürtige Adelige, ein halbes Dutzend Rittergutsbesitzer, die Bürgermeister der größeren Städte und was an höheren Geistlichen im Lande aufzubringen war, das bildete zusammen das Haus der Lords in diesem engen deutschen Vaterlande.
„Mit Respect zu melden,“ pflegte der Amtsrichter Kern immer zu sagen, wenn er von der ersten Kammer seines „Staates“ sprach.
Schließlich, nach dem Verlaufe einiger Jahre, verschwand der Herr Bürgermeister ganz aus dem Städtchen und tauchte als Geheimer Rath im Ministerium der Justiz in der Residenz wieder auf. Man sagte, daß er hauptsächlich die Personalsachen bearbeite.
„Dazu hat er ausgezeichnetes Geschick,“ erklärte Kern.
Der gesammte jüngere Richterstand zeichnete sich bald durch blinde Unterwürfigkeit unter die politischen Ansichten und Tendenzen der Regierung aus, und das Princip der Anciennetät wurde zum alten Eisen der Staatsrumpelkammer geworfen. Die „Brauchbarkeit“ des Beamten bildete den alleinigen Maßstab für die Schnelligkeit seines Vorwärtskommens. Was „brauchbar“ sei, entschied in jedem einzelnen Fälle der Geheime Rath, der früher Bürgermeister in dem Städtchen gewesen. Kern war nicht brauchbar. Er blieb jahraus jahrein Amtsrichter in dem Städtchen.
Der schreibende Telegraph von E. A. Cowper. Vor einer Reihe von Jahren producirte sich in Berlin und anderwärts „die geheimnisvolle Hand“, eine auf einer Glasplatte liegende Wachshand, welche auf einem untergelegten Stück Papier schriftlich allerlei Fragen beantwortete, die man ihr vorlegte. Das war natürlich ein sogenannter Pseudo-Automat, bei welchem irgend eine Täuschung unterlief, wahrscheinlich, indem Jemand mit einem starken Elektromagneten unterhalb der Glasplatte die Feder leitete. Nun hat der englische Ingenieur E. A. Cowper vor einigen Monaten wirklich einen Apparat construirt, bei welchem eine Feder, wie von Geisterhand bewegt, in den Originalzügen wiedergiebt, was Jemand, der viele Meilen entfernt sein kann, gleichzeitig an einem anderen Orte niederschreibt. Man darf diese geistreiche Construction nicht verwechseln mit dem Bain-Caselli’schen schreibenden und zeichnenden Telegraphen, von welchem im Jahrgange 1877, Seite 48 die Rede war, und welcher das Papier mit engen, farbigen Parallellinien überzieht, in denen die Striche der Schrift oder Zeichnung weiß bleiben, als wären sie aus der Schraffirung herausgekerbt; der Cowper’sche Telegraph hingegen schreibt wie ein Mensch, und ebenso deutlich, schnell, kalli- und orthographisch wie der viele Meilen entfernte Correspondent.
Da es zu schwierig und umständlich sein würde, den ganzen Mechanismus zu beschreiben, so müssen wir uns hier mit dem Versuche begnügen, dem Leser eine Vorstellung zu geben, wie dieses Wunder erreicht wird. Jedes kleine Stück einer krummen Linie läßt sich als gerade Linie betrachten, die Fortbewegung in dieser aber läßt sich durch eine entsprechende Fortbewegung in den beiden zusammenstoßenden Seiten eines Rechtecks ersetzen, dem jene gerade Linie als Diagonale zugehört. Die von der menschlichen Hand in Bewegung gesetzte Feder dient direkt als Absender von zweierlei durch die Schriftzüge modificirten Strömen, die in zwei Leitungen nach der andern Station gehen, und dort die Feder in der sich fortwährend ändernden Diagonale ihrer eigenen beiderseitigen Schwankungen fortbewegen. Man denke sich zwei Knaben, die, rechtwinklig aus einander laufend, an zwei Strippen eine kleine Karre ziehen, die sich stets in der Diagonale fortbewegt, und deren Rad sie mächtige Buchstaben im Sande beschreiben lassen. Diese beiden Knaben wurden den Zugkräften der beiden Stromleitungen entsprechen, welche die Feder der Empfangsstation leiten. Man würde durch diesen Telegraphen Dokumente von abwesenden Personen unterzeichnen und beglaubigen lassen können, deren Vollzug unter den Augen der anderen Partei stattfände.
Berichtigung. Unter Anknüpfung an unsern Artikel „Anstalten für geistig zurückgebliebene und schwachsinnige Kinder“ (Blätter und Blüthen Nr. 34) theilen wir mit, daß Herr Anstaltslehrer E. Reichelt in Hubertusburg in Sachsen nicht Lehrerinnen auszubilden, sondern nur einige schwachsinnige Kinder in seine Familie als Pensionäre aufzunehmen bereit ist.
Pfarrer M. in L. Ihr Gemeinde-Kirchenrath beabsichtigt, um den sehr störenden Widerhall in Ihrer neuen Kirche zu brechen, durch den oberen Raum derselben Fäden hin und her zu ziehen, und Sie fragen uns, ob dieses Mittel helfen könne? Da die beste Auskunft in solchen Fällen, die Drapirung der Wände mit weichen Stoffen, in Ihrem Falle nicht durchführbar sein wird, so wäre jenes Mittel immerhin in Anwendung zu bringen, und zwar mit recht vielen schwarzen (weil am wenigsten sichtbaren) kreuz und quer gezogenen Fäden. Mitunter sollen solche Versuche von gutem Erfolge gewesen sein. Wir können Ihnen wenigstens einige ermuthigende und seltsame Beobachtungen in dieser Richtung mittheilen. Im Jahre 1851 beobachtete der französische Physiker Baudimont, daß es neben manchen Eisengittern, wie sie so häufig zur Einfassung von Gärten und Grundstücken angewendet werden, fast unmöglich ist, eine Peitsche zum Knallen zu bringen. Ein niedriges Gitter auf dem Pont des St. Pères in Paris verschluckte den Knall in Folge der verschiedenen Reflexionen an den Stäben vollständig; an andern Gittern hörte er statt des kurzen Knalls ein langes eigenthümliches Zischen. (Poggendorff’s Annalen der Physik, Band 84, 1851.) Vielleicht haben die vielen Eisengitter, welche in katholischen Kirchen Hochaltar und Seitencapellen abzuschließen pflegen, einen ähnlichen Nebennutzen, und ebenso günstig wirken die vielen Bildrahmem Kronleuchter, Schreine etc. alter Kirchen, überhaupt Alles, was die Gleichmäßigkeit der Wandflächen unterbricht und die Luft zertheilt. Was jenes Zischen betrifft, so ist es ein musikalischer Ton, der von den einzelnen Reflexionen der Stäbe hervorgebracht wird, und der Physiker Oppel bemerkte, daß ein auf einer Gitterbrücke bei Frankfurt am Main abgeschossenes Gewehr einen überaus schrillen musikalischen Ton hervorbrachte, der sich in ein tiefes Gemurmel, wie Stimmengeflüster, verlor. (Poggendorff’s Annalen, Band 95, 1855.) Alles das spricht entschieden für den Nutzen der Fäden, und es wäre unbedingt gerathen, einen Versuch vielleicht mit einem vollständigen, weitmaschigen Netze zu machen. In einer Berliner Kirche hat man aus ähnlichen Gründen die Kuppel durch eine häßliche, horizontal aufgespannte Leinwand abgeschlossen. In einem beinah unsichtbaren Netze dürfte sich der Widerhall ebenso gut fangen lassen.
Karl Br. in Halver. Wir rathen Ihnen entschieden von Ihrem Vorhaben ab.
A. Z. in Halle. Ja!
A. C-ld. Ungeeignet! Ihren Briefen fehlt die Angabe Ihrer Adresse. Melden Sie diese gefälligst zur Rückgabe des Manuskripts!
Junge Abonnentin in Düsseldorf. Die gewünschte Adresse lautet: Leipzig, Sidonienstraße 57.
Außer der Fortsetzung der Criminalnovelle „Aus vergessenen Acten“ von Hans Blum liegen für das vierte Quartal die bereits angekündigten Novellen
sowie einige kleinere Erzählungen vor, darunter eine anmuthige Skizze „Unter’m Schloß“ von W. Heimburg, der Verfasserin der mit so vielem Beifall aufgenommenen Novelle „Lumpenmüllers Lieschen“. Außerdem werden wir fortfahren, unsern Lesern eine bunte Reihe belehrender und unterhaltender Artikel verschiedensten Inhalts zu bieten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_656.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)