Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
|
Taschenwörterbuches und besteht aus zwei Abtheilungen. In der ersteren folgen auf den zweispaltigen Seiten die Wörter wie in einem Lexikon, und vor jedem Worte steht, mit 5001 beginnend, in fast ununterbrochener Reihenfolge eine Zahl, also 5001 Aal, 5002 aal–, 5003 Aar, 5004 A(a)as, 5005 aasen etc., 5014 verlorene Chiffre, 5228 neuer Schlüssel + 11, 7088 Baake etc., 31,514 zwitschern, 31,519 zwölfte. Da die Anwendung der zur Substitution für die Worte gewählten und neben sie gestellten Chiffres jegliches chiffrirte Correspondenzstück der Gefahr des Verrathes an Unberufene aussetzen würde, so sind die Chiffres im Allgemeinen nicht natürlich, sondern fingirt zu gebrauchen. Sollte also nach diesem trefflichen Buche chiffrirt abgesendet werden die Depesche: „Abonnement auf Garten–laube“ mit den im Buche daneben stehenden Zahlen 5355 6859 14,294 18,360, so brauchte ja nur jeder diese Zahlen aufzusuchen, und das Geheimniß wäre gehoben. Nun haben aber zwei Correspondenten eine gewisse positive oder negative Zahl (± x) unter sich als Geheimniß vereinbart. Diese Zahl nennt man den Hauptschlüssel (H S), und sie wird je nach ihrem ± Charakter zu den im Lexikon gefundenen Chiffren addirt oder von ihnen abgezogen. Wäre also die Einigung dahin erfolgt, daß in diesem Monate der Hauptschlüssel + 201 sein sollte, so würde ich zu jeder der obigen vier Zahlen 201 addiren und depeschiren: 5556 7060 14,495 18,561. Sähe nun wirklich ein Unberufener diese Zahlen und schlüge sie im Buche auf, so fände er: „abspielen aufsammeln Gegenuntersuchung Lerngegenstand“ und erführe dadurch nichts. Da der Correspondent weiß, daß in diesem Monate der Absender 201 zu jeder Zahl hinzugezählt hat, so wird er zuerst von jeder Zahl 201 subtrahiren und erst dann die erhaltenen Reste im Buche aufsuchen.
Die zweite Abtheilung des Niethe’schen Buches besteht aus einer Tabelle für Declination und Conjugation und Silbenzusammensetzungen für Eigennamen. Eine bestimmte Zahl bedeutet z. B.: nimm vom folgenden Worte den Dativ oder den Pluralis, nimm vom folgenden Verbum diese oder jene Zeit, diese oder jene Person! Wollte ich sodann aus der Silbentabelle den Namen des berühmten asiatischen Reisenden, des russischen Oberst Przewalski chiffriren, so finde ich neben der Verbindung prz: 28,665, neben ew: 23531, neben al: 17,550, und neben ski: 29,502, und alle diese Zahlen werden mit dem Schlüssel gerade so wie die anderen behandelt. Natürlich sind auf dieser Tabelle auch bestimmte Chiffres für die Interpunktionen angegeben. Es würde uns jedoch zu weit führen, auf alle Einzelheiten dieses höchst interessanten Buches einzugehen, umsomehr als wir unseren Lesern noch einige andere Arten der Geheimschrift vorführen möchten.
Bei der Anwendung der ziemlich alten Faden-Punktir-Methode nahm man als Schlüssel zwei gleich lange vierkantige Stäbchen, auf denen man sechsundzwanzig gleiche Theile markirte, und bezeichnete jeden Theilstrich mit einem Buchstaben. Das eine Stäbchen behielt der Absender, das andere wurde dem Correspondenten zugesandt. Zur Anfertigung der Geheimschrift nahm man einen Zwirnfaden, legte das eine Ende desselben an den Anfang des Stäbchens und maß bis zum Strich des ersten Buchstabens der Depesche; an dieser Stelle markirte man mit Tinte auf dem Faden einen Punkt, legte diese Stelle an den Anfang des Stäbchens und markirte ähnlich den zweiten und die folgenden Buchstaben, bis ein Wort zu Ende war; hier wurde hinter den schwarzen Punkt noch ein rother gesetzt. War derartig nun die ganze Depesche punktirt, so wurde der Faden zu einem Knäuel zusammengerollt und dem Correspondenten überschickt. Mit Hülfe seines Stäbchens konnte er dann leicht dechiffriren.
Als Schlüssel zu der Linien-Geheimschrift dient gewöhnlich ein Quadratnetz auf dickem Papier. In jedem Quadrat steht ein Buchstabe. Zum Zweck des Chiffrirens legt man hierüber ein durchscheinendes Stück Papier und zeichnet da auf dem Papier, wo in dem darunter liegenden Netze der erste Buchstabe der Depesche verzeichnet ist, ein Ringelchen, damit der Empfänger wisse, daß mit diesem Buchstaben die Geheimschrift beginnt. Von dort zieht man dann eine gerade Linie nach dem Quadrat, das den zweiten Buchstaben enthält, dann nach dem dritten etc., bis alle Worte chiffrirt sind. Am Ende der Linien, bei dem letzten Buchstaben, zeichnet man einen kleinen Pfeil als Schlußzeichen. Wäre nun die Mittheilung zu machen. „Losung ist Grenoble“, so würden der Schlüssel auf dem Quadratnetze und die Geheimschrift das Aussehen haben, wie hier angegeben worden ist.
Der Dechiffreur legt dieses Liniengewirr auf seinen Schlüssel, verfolgt, vom Ringelchen anfangend, die Linien, bis sie einen Winkel bilden, und liest an dieser Stelle den betreffenden Buchstaben des Schlüssels ab. Solche Linienchiffres können auf vielerlei Art gebildet werden und bieten der Phantasie des Erfinders einen großen Spielraum.
In weitem Sinne ließen sich zu der Kryptographie auch noch die geheime Polizeischrift und die Blumensprache der Morgenländer rechnen; doch sind diese Methoden theils zu complicirt und künstlich, ohne die nöthige Sicherheit zu gewähren, theils, wie die Blumensprache, nicht so sehr zu allgemeinen Mittheilungen als zur Sprache sehnsuchtsvoller Liebe verwendbar. Im Orient, wo das schöne Geschlecht zur Einsamkeit des Herzens verurtheilt ist, soll zuerst der Gebrauch entstanden sein, natürliche Blumen zum Ausdruck der Gedanken und Empfindungen, zum beredten Liebesboten zu wählen.
Diese orientalische Blumensprache, Selam, ist aber sehr verschieden von der unserigen, da sie sich fast ausschließlich auf die Namen der Pflanzen gründet, unsere Blumensprache aber manches noch aus gewissen andern Eigenschaften der Pflanzen hernimmt. Uebrigens giebt es, so weit die deutsche Zunge klingt, wohl nur wenige Blumen, die überall dieselbe Deutung haben. So versinnbildlicht, ob Nord oder Süd, West oder Ost, den Abend die Mohnblume, den Aerger das blaue Leberblümchen, die Beruhigung die Camille, die Armuth die leere Aehre, den Kummer die Aster und die hellen Thränen der Rosmarin. Diese Blumen, die wir Deutsche seit Jahrhunderten zu Trägern unserer Gefühle erkoren, sie werden es immerdar bleiben.
C–f. Dr. B. L.
Mit gerechtem Stolze darf die medicinische Wissenschaft und vor Allem die Chirurgie auf die letzten Jahrzehnte ihrer Entwickelung zurückblicken; denn was heutzutage in der Behandlung der Wunden und in der Sicherheit der Operationsmethoden geleistet wird, gehört wahrlich zu den glänzendsten Errungenschaften des menschlichen Geistes, deren Wohlthaten jahraus jahrein Tausenden von Unglücklichen zu Theil werden.
Leider sind aber diese Fortschritte bei den täglich vorkommenden plötzlichen Unglücksfällen noch gar wenig zur Geltung gelangt, und darum verbluten und verkrüppeln noch heute zahllose Verunglückte,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_236.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)