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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Der Arzt hat keinen Sonntag. Lucie stand am Fenster und sah ihn in den Wagen steigen. Er grüßte noch einmal hinauf; dann holperte das Gefährt langsam die einsame Straße hinab, und sie wandte sich in das Zimmer zurück.

Von allen Gesichtern in der Stadt war sicherlich keines ganz so verdrießlich, wie das der Frau Steuerräthin an diesem Tage; es sah unter der festtäglichen Haube doppelt sauer aus. Sie hatte den Kaffee und dazugehörigen Sträußelkuchen auf der Fensterbank stehen und strickte mit nervöser Hast, während ihre Blicke immer mißvergnügter von der menschenleeren Straße zurückkehrten. Tante Dettchen saß auf dem gewöhnlichen Platz, hatte den Kopf an die Lehne des Sessels gelegt und schlummerte, das Strickzeug in der herabgesunkenen Hand. Tick-Tack! Tick-Tack! sagte die Uhr, sonst rührte sich nichts.

Lucie, die schon ein Weilchen an dem Glasschrank gestanden hatte, in welchem zierliche bemalte Tassen, Figürchen, Serviettenringe und Kuchenteller prangten, sowie der Silberkranz, den die Schwiegermama am fünfundzwanzigjährigen Hochzeitsjubiläum getragen, wandte sich jetzt und sagte: „Adieu, liebe Mama, ich gehe.“

Die alte Dame ward roth. „Wohin?“ fragte sie, obgleich sie es ganz genau wußte.

„Zu meiner Freundin.“

„Freundin! Rede doch nur nicht solchen Unsinn, liebes Kind! Ich begreife Alfred nicht,“ machte sie ihrem Aerger endlich Luft. „Täglich und täglich diese Lauferei!“

„Du weißt doch, Mama, sie ist leidend und hat Niemand, der sie besucht. Alfred hat es mir erlaubt und wünscht es sogar,“ betonte sie.

„Ich möchte Dich nur fragen, was aus dieser Freundschaft werden soll? Wozu brauchst Du überhaupt eine Freunndin? Ich meine, Du hättest mehr zu denken; es gilt tüchtig zu nähen für Deine Aussteuer; denn bei uns ist es noch nicht Mode, daß man die Sachen fertig aus dem Laden nimmt.“

Lucie schwieg.

„Als ich Braut war, hatte ich nur Gedanken für meinen Bräutigam; ich habe mir damals alle Freundinnen abgeschafft, und Du –“

Lucie blieb ein Weilchen an der Thür, aber die Nadeln klapperten stumm weiter, und sie ging. Als sie auf die Straße trat, öffnete sich ein Fenster über ihr und die schrille Stimme der alten Dame rief: „Sollte die Postmeisterin kommen mit ihren Töchtern, oder irgend ein anderer Besuch, so werde ich Dich rufen lassen.“

„Bitte,“ sagte das Mädchen freundlich; aber das Fenster klirrte bereits wieder zu. Sie ging so rasch, als ob sie Jemand verfolge, und trat in die wohlbekannte Pforte. Unter dem Thorwege hervor flog ihr Blick zu den oberen Fenstern, und wie Sonnenschein ging es über ihr Gesicht; da oben bog sich ein dunkler Frauenkopf heraus. Sie stürmte die Treppe empor, und auf dem dämmerigen Korridor fiel sie Hortense um den Hals: „Ach, Gott sei Dank, nun bin ich bei Dir!“

(Fortsetzung folgt.)

Jagdschloß Grunewald und die „schöne Gießerin“.

Der Grunewald, jenes meilenlange Waldgebiet am linken Havelufer zwischen Spandau und Potsdam, war noch vor einem Jahrzehnt ein freundlicher Zufluchtsort für jeden still empfindenden Naturfreund. Die reiche Fülle seiner tiefblauen, träumerischen Seen, der liebliche Wechsel zwischen grünen Thalmulden und sanft ansteigenden Höhen, von wo der Blick auf und ab den breiten segelbedeckten Havelstrom schweift, der geheimnißvolle Zauber, welcher unter diesen sonnendurchhuschten, schlanken Kiefernstämmen, über dem rothblühenden Heidekraut webte: dies Alles hatte einen Reiz und eine schlichte Anmuth, die jedes empfängliche Herz gefangen nahmen. Jener Zauber ist längst dahin. Seitdem breite neue Kunststraßen den Wald kreuz und quer durchschneiden, ein Schienennetz von allen Seiten ihn umspannt, Rangirbahnhöfe, Massenlokale aus der Erde wuchsen; seitdem jeder Sonntag zahllose Tausende sich lärmend in die stillen Waldesgründe ergießen sieht, ist der Grunewald zu einem Volksprater geworden. Ein Wanderziel für sangeslustige Berliner, für Kremserpartien, Turner und zahllose Vereine war er ja immer. Aber dies Alles entfaltete sich ehemals im kleinen Stile, harmlos, vereinzelt. Jetzt durchtobt allsonntäglich ein Lärm den schönen Wald, daß die koncessionirten Sänger in den schwankenden Wipfeln verdutzt und scheu ihre Symphonien abbrechen. Statt ihrer lauert hinter jedem fünften Baume an den Hauptwegen Leierkasten oder Ziehharmonika; Bettler halten ihre Kongresse hier ab, und der Duft warmer Würste, vor denen jeder ehrliche Droschkengaul unwillig zusammen schaudert, durchzieht die Luft.

Nur einen Tag gab es von jeher, wo hier der Friede des Waldes für kurze Zeit unterbrochen wurde. Das ist am Mittag des 3. November, wo nach althergebrachter Sitte die Hubertusjagd im Grunewald abgehalten wird und der königliche Hof mit seinen geladenen Gästen sich vom Jagdschloß Grunewald nach der Saubucht begiebt, um von dort aus die Hatz auf die unter einem Vorsprung von zehn Minuten losgelassene Sau zu beginnen. Dann klingen helle Fanfaren, das Schmettern der Hörner durch den Forst; in das Knallen der Piqueurpeitschen, das Gekläff der Rüden mischt sich das Stampfen der Hufe, Wagengerassel, Wiehern, Klappern, Rufen und Jauchzen, bis das bedrängte Opferthier seine arme Seele aushaucht, der frische Bruch an die Jagdtheilnehmer vertheilt ist und der gesammte Zug sich zur Festtafel in das Jagdschloß zurückbegiebt.

Jagdschloß Grunewald, im Wald und am See gleichen Namens gelegen, ist ein Stückchen romantischer Poesie inmitten der rings ruhelos schaffenden Neuzeit geblieben. Von den Wellen des schönen Sees umspült, durch Hof und angrenzende Oekonomiegebäude von der Verkehrsstraße geschieden, athmet hier Alles noch den Hauch wohlthuender Stille und träumerischer Vergessenheit.

Ein geräumiger Schloßhof nimmt uns auf. Oekonomiegebäude, Stallungen und Küchenräume schließen ihn nach drei Seiten ab, die vierte Seite bildet das schmucke Jagdschloß. Ebenso interessant wie wenig bekannt ist der durch Herde und gewaltige Rauchfänge gänzlich entstellte jetzige Küchenraum, welcher, im Rundbogenstil stark gewölbt, zugleich eine Säule mit romanischem Kapitäl enthält, deren hohes Alter die Annahme wachruft, daß vielleicht einst, längst vor dem Schlosse, sich eine Betkapelle, ein Wallfahrtsort im stillen Walde erhob. Das Jagdschloß selbst wurde nach einer Inschrift am Haupteingange von 1542 bis 1543 unter dem prachtliebenden, waidlustigen Joachim II. erbaut. Sein Schöpfer war Kaspar Theyß, derselbe glückliche Baumeister, welcher für seinen fürstlichen Gönner die Jagdschlösser Köpenick, Oranienburg wie das an dem Spree-Ufer begonnene Berliner Schloß auf märkischem Boden erstehen ließ. Ihm zu Ehren ist wohl auch im Jagdschloß Grunewald am Treppenaufgang das originelle, buntgetönte Sandsteinrelief in die Wand eingelassen worden. Eine Sehenswürdigkeit des Ortes! Es zeigt in Brustgröße rechts den Kurfürsten Joachim II., links eine unbekannte Person, Namens Consz Buntschug, vielleicht den damaligen Steinmetz, in der Mitte aber Kaspar Theyß selbst, der mit nackten, muskulösen Armen soeben einen mächtigen „Willkomm!“ mit der Inschrift: „Theyß es gilt!“ zum Munde führt, während der ersichtlich aufgeräumte Kurfürst ihn mit der beigefügten Anrede begrüßt:

„Caspar Theis was sal die kleine Flas
Die Consz Buntschug hot in der Tas
Diser Wilkum mus zuvor heraus
Sunst wurt ein solchger Lerman traus.“


(„Kaspar Theyß was soll die kleine Flasch
Die Consz Buntschug hat in der Tasch
Dieser Willkomm muß zuvor heraus
Sonst würd’ ein solcher Lärm daraus.“)

Die Einrichtung des Jagdschlosses ist, dem Sinn der Hohenzollern entsprechend, traulich und schlicht. Eine ansehnliche Vogelsammlung, Geweihe, Kuriositäten, alte Jagdwaffen, eine Reihe alter unter Friedrich Wilhelm I. angefertigter Jagdgemälde, historisch interessant, doch auch voll köstlichen ungewollten Humors, bilden in der Hauptsache die Ausschmückung der alten Räume, deren dunkle Eichenholzmöbel den Eindruck des Gesammtbildes noch erhöhen. Außer einem größeren Saale, wie zahlreichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_056.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)
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