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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Aufmerksamkeit bedachte; dazu scherzte und plauschte sie, daß nicht nur der Pointner in Seligkeit völlig zerfloß, sondern auch Karli an ihrer lustigen Art und Weise offenes Gefallen fand. Die Unterredung mit Götz hatte die Sorgen seines Herzens beschwichtigt; der schwere, süße Wein hatte ihn warm und munter gemacht, und so gab er sich gedankenlos der lustigen Gegenwart hin, die ihn des bevorstehenden Abschieds völlig vergessen ließ. Als ihn dann eine Wendung des Gespräches unversehens an den kommenden Tag erinnerte, fuhr er sich mit beiden Händen in die Haare und grollte:

„Na – ganz vergessen hab’ ich! G’wiß wahr – g’rad schad’ is, daß ich fort muß morgen.“

Kuni verstummte inmitten des hellen Lachens, das ihr gerade von den Lippen klang, und ihre Augen schossen einen brennenden Blick auf das Gesicht des Burschen.

Der Pointner aber schlug die Fäuste auf den Tisch und lallte mit schwerer Zunge: „Gelt, Loder, siehst es amal ein, wie’s daheim so gut und schön is? Aber natürlich – heut’ g’fallt’s Ei’m – und morgen, bald man draußen is, da g’fallt’s Ei’m draußen. Da kommt man in d’ Stadt, reißt ’s Maul und d’ Augen auf, und im Manöver erst, da giebt’s ein’ Gaudi über die ander’, und da denkt nachher keiner von die Loder mehr an die armen verlassenen Eltern, die sich daheim hinkümmern müssen –“

„Jesses na! Weil Du Dich so viel kümmern mußt!“ lachte Karli und blies die heißen Backen auf. „Und bildst Dir ’leicht gar ein, daß man an gar nix Anders net zum Denken hätt’ als wie an Dich?“

„Ja, an gar nix sonst, als wie an mich!“ schrie der Pointner. „Ich bin d’ Hauptperson, verstehst mich – und z’erst komm’ allweil ich, und nachher kommt lang nix mehr.“

„Geh’, geh’, gieb Dich nur z’frieden, der Karli denkt schon an Dich!“ so suchte Kuni den Alten zu beschwichtigen, und ein seltsames Zucken ging um ihre Lippen, während sie in einem Tone, als hätte sie ein weinendes Kind zu besänftigen, hinzufügte: „Und schau – weißt – wenn’s Dir halt gar so um Dei’m Buben seine Gedanken z’ thun is, nachher muß halt ich mich a Bißl drum sorgen, daß er auf ’n Pointnerhof net vergißt.“

„Was? han? Was redst jetzt da daher?“ lallte der Pointner, während Karli verwunderte Augen machte.

„Ja, weißt, ich gieb ihm was mit auf d’ Reis’, wo ihm seine Gedanken verzaubert, daß er an gar nix Anders nimmer denken kann, als wie an daheim – ja – an Andenken!“

„So, so? An Andenken?“ staunte der Pointner und machte dazu ein Gesicht, welches deutlich verrieth, daß ihm nach all dem genossenen Weine das Denken bereits zur schweren Arbeit wurde. Mit unsicherer Hand griff er nach dem Glase, begoß sich mit dem Weine die Brust, und während er dann mit dem Handballen die Weste zu reinigen suchte, streckte er sich und gähnte mit weit offenem Munde.

Karli aber sagte in heller Neugier: „Geh’, Du, sag’ – was wär’ denn das nachher für an Andenken? Und so ’was sollt’s geben, wo so an Kraft hat? Ah’ na – das glaub’ ich net, Du machst ja dengerst g’rad an G’spaß – sonst thätst net so dumm lachen dazu.“

„Meinst?“ kicherte die Dirne, zog die Unterlippe zwischen die weißen Zähne und streifte das verdutzte Gesicht des Burschen mit einem übermüthigen Blick ihrer dunklen Augen.

„Geh’ weiter – denn wann schon so ’was Seltsam’s haben thätst, nachher thätst es mir net geben?“

„No – wer weiß – wann recht brav bist.“ Dabei lachte sie den Burschen so eigen an, so wohlwollend spöttisch, daß Karli beim besten Willen nicht mehr wußte, ob er die Sache ernst oder spaßhaft nehmen solle. Doch schien er sich schließlich für das Letztere zu entschließen, denn er puffte seinen Ellbogen an Kuni’s Arm und brummte:

„Geh’ – Du – mit Deine Dummheiten – kannst nix als d’ Leut’ zum Narren halten!“

Da ließ ein rasselndes Geräusch die Beiden nach dem Pointner blicken. Der hielt die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, lag ausgestreckt in seinem Lehnstuhl und schnarchte, daß ihm die Nasenflügel zitterten.

„Du – da schau – Dein’ Vatern hat’s ’nüberg’rissen!“ kicherte Kuni.

„Aber g’schwind hat’s ihn jetzt g’habt! Freilich – ich weiß schon – das gache ’neintrinken, das vertragt er net.“

„Geh’, thu’ net so laut – laß ihn halt schlafen,“ wisperte die Dirne, während sie hastig den Kork von der letzten, noch vollen Flasche nahm und Karli’s Glas bis zum Ueberlaufen füllte.

„Was machst denn jetzt? Die letzte Flaschen hältst g’rad schon stehen lassen können. Ich hab’ auch schon lang g’nug.“

„Geh’ weiter, sei net langweilig! A Mannsbild, wie Du, kann ’was vertragen. Und auf gute Freundschaft müssen wir dengerst auch mit einander anstoßen. Das thät’ mich ja schier kränken, wann fortgehen thätst, ohne daß a Glasl auf mein Wohl austrunken hast.“

Er stieß mit ihr an und leerte sein Glas.

„So laß ich mir’s g’fallen“ nickte sie und griff wieder nach der Flasche. Während sie einschenkte, rückte sie dicht an seine Seite. „Ja Du – was ich sagen will – weißt es schon?“ kicherte sie ihm ins Ohr und berichtete, was sich seit einigen Tagen die Leute im Dorfe von der Huber-Kathl, von der Tochter des Nachbarn, erzählten. Er lachte zu der Geschichte, obwohl er sie bereits kannte. Da wußte denn Kuni gleich wieder etwas Anderes zu erzählen, und so plauschten sie mit verhaltenen Stimmen weiter, kicherten und tranken – und geduldig ließ er es geschehen, wenn sie ihn dabei in ihrer gewohnten Weise neckte, bei der Nase faßte, ins Ohrläppchen kniff oder an den Haaren zog. Wenn er über eine ihrer Geschichten gar zu laut lachte, packte sie ihn beim Schopfe und drückte ihm ihre Hand auf den Mund. Im eifrigen Plaudern legte sie manchmal ihren Arm auf seine Schulter. Als er sich einmal, die Backen aufblasend, halb emporrichtete, strich sie ihm die Haare aus der feuchten Stirn und kicherte: „Is Dir denn gar so warm?“

Er lächelte harmlos und meinte: „Ah na – das g’rad net – aber’ –“

Was er mit diesem „aber“ hatte sagen wollen, das brachte er nicht heraus, denn ganz unerwartet nahm der Pointner die Aufmerksamkeit der Beiden in Anspruch. Der hatte plötzlich sein Schnarchen eingestellt, murmelte und lallte unverständliche Worte, schnarchte wieder ein Gesetzlein und lallte aufs Neue. Darüber hatten die Beiden eine Weile zu kichern, als hätten sie einen besseren Spaß nicht erleben können. Dann wieder begannen sie das alte Plauschen und Scherzen, bis sich die Schwarzwälder Uhr mit einem mahnenden Schlag vernehmen ließ.

Völlig erschrocken fuhr Karli in die Höhe. „Jesses – jetzt is gut – eins hat’s g’schlagen!“ stammelte er. „Und morgen soll ich wieder ’raus in aller Fruh! Na – so kurz is mir schon bald kein’ Zeit nimmer worden!“

Hastig schob er sich hinter dem Tisch hervor und streckte die Glieder.

Langsam erhob sich Kuni, während sie den Burschen mit einem wägenden Blicke musterte; dann lächelte sie leise und duckte den Kopf zwischen die runden Schultern.

Karli war auf den Vater zugetreten und rüttelte ihn am Arme. „Vater – Vater – thu’ Dich schlafen legen – eins hat’s g’schlagen.“

Der Pointner rührte sich ein wenig, lallte mit schwerer Zunge und schnarchte weiter.

Karli wollte die Weckversuche von Neuem beginnen, als Kuni an seine Seite trat und ihn vom Lehnstuhl wegschob. „Geh’ weiter – ich schau’ schon, daß er ’neinkommt in sein Kammerl.“

„No, da kannst noch a schöne Plag’ haben,“ meinte Karli und wandte sich lachend der Thür zu. Als er auf der Schwelle stand und ihm die frische kühle Luft des offenen Flurs entgegenstrich, hob er den einen Arm an die Stirn und lehnte sich an den Thürpfosten.

„Karli – geh – was hast denn auf amal?“ hörte er Kuni mit leisen Worten fragen.

„Nix – gar nix! Den Wein fang’ ich halt a Bißl zum spüren an,“ erwiederte er, athmete tief auf und zog, in den Flur hinaustretend, hinter sich die Thür zu. Da vernahm er auch schon aus der Stube die greinende Stimme des Vaters. Ein paar Stufen stieg er die Treppen empor; dann kehrte er wieder um und tastete sich durch den finsteren Flur in die Küche, um dort einen tüchtigen Trunk frischen Wassers zu sich zu nehmen, da er nach all’ dem genossenen Weine einen brennenden Durst zu fühlen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_618.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
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