Seite:Die Gartenlaube (1887) 875.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

kenn’ ich! Und ich kann mir schon denken, was los is! Den Götz, den kenn’ ich! Der hat g’wacht für uns – der hat die Ander’ ’troffen in der Nacht – und nach is er ihr – und heimbringen thut er s’ – mitten durchs Ort durch in Schand’ und Spott. Wirst es sehen, Karli! Den Götz, den kenn’ ich!“

Draußen im Flur ließ eine kreischende Stimme sich vernehmen: „Bauer – Bauer!“

Zenz erschien auf der Schwelle.

„Ja um Gotteswillen – was is denn schon wieder?“

„G’schehen, Bauer – g’schehen muß was sein! G’rad is der Martl in Hof ’rein g’rennt!“

„Der Martl?“

„Ja – und g’laufen is er, was er laufen hat können! Und ganz verlechznet hat er sich ang’schaut. Und ins Haus ’nein is er g’rumpelt –“

Da eilten sie Alle, Karli voraus, in den Hof hinunter. Dort stießen sie auf den Knecht, der aus dem Hause kam. Bis zu den Hüften hing der Schnee an ihm; sein Gesicht war von Schweiß beronnen, und der fliegende Gang seines Athems ließ ihn kaum zu Worte kommen.

„Den Bygotter – den Bygotter hab’ ich g’sehen!“ stieß er in abgerissenen Lauten hervor. „Droben am Sonnbergschlag – wie ich ums Tagesgrauen von der Holzerhütten fort bin – da hab’ ich ihn durch die niedern Boschen schliefen sehen – gegen d’ Höh’ zu! Und ausg’schaut hat er – zum Fürchten und zum Erbarmen! Jetzt aber – jetzt muß er sich finden lassen! Der Schnee verrath’ ihn – der Schnee! Droben am Kreuzweg hab’ ich d’ Holzknecht’ warten lassen – und im Vorbeilaufen hab’ ich’s dem Kommandanten ins Fenster ’neing’rufen – ja – der hat sich auch gleich am Weg g’macht, wie ich g’merkt hab’.“

„Ja heiliger Herrgott, ja kommt denn heut’ Alles z’samm’, Alles?“ jammerte der Pointner und schlug die Hände in einander.

Karli aber stürzte in das Haus, und als er wieder unter der Thür erschien, mit Hut und Bergstock, rief er die beiden Knechte zu sich und eilte mit ihnen aus dem Hofe. In dem Hause, in welchem die zwei Gendarmen wohnten, erfuhr er, daß der Kommandant mit einigen Nachbarsleuten bereits nach dem Sonnberg aufgebrochen sei.

Am Waldsaum holten die Drei aus dem Pointnerhofe die Vorausgegangenen ein. Karli wunderte sich, daß der Kommandant allein war, ohne seinen Kameraden. Doch kam er zu keiner Frage; denn als er sich dem Kommandanten näherte, empfing ihn derselbe mit seltsamen Blicken und einem eigenen Lächeln, das ihm unwillkürlich das Blut in die Stirn trieb. Wortlos folgte er den Männern, welche in möglichster Eile bergwärts stiegen durch den spröden Schnee, der immer tiefer wurde, je mehr sie zur Höhe kamen.

Als sie den Sonnbergschlag erreichten und auf die Fährte des Bygotters stießen, zog Karli den Kommandanten bei Seite und flüsterte ihm mit stockenden, vor Erregung bebenden Worten zu: „Gelten S’ – bitten thu’ ich Ihnen – gehen S’ fein net gar z’ hitzig drein! Es is ja kein Spitzbub net, der da zum suchen is – sondern a kopfkranker Mensch, der Ein’ erbarmen muß.“

„Ich weiß schon selber, was ich zu thun hab’. So g’scheit, wie Sie sind, bin ich auch noch!“ lautete die Antwort.

Einer hinter dem Anderen, der Kommandant voraus, so folgten sie der im Schnee deutlich erkennbaren Spur. Diese führte bald durch dichte Büsche und bald durch schütteren Wald, in gerader Steigung gegen die hochliegenden Lärchenbestände; doch ehe sie dieselben erreichte, lenkte sie seitwärts in eine Waldschlucht. Hier vertheilte der Kommandant die Leute, als gält’ es eine Treibjagd abzuhalten. Zwei seiner Nachbarn nahm er mit sich in die Schlucht, in deren schmalstem Theile sie zwar nicht den Bygotter, aber doch seinen Schlupfwinkel fanden, ein geräumiges, von wirrem Gestrüpp verborgenes Felsenloch. Im Hintergrunde der dämmerigen Höhle war auf dem feuchten Grunde aus Moos und dürren Blättern ein Lager aufgeschüttet. Ueberall lagen trockene Beeren umher. In einem Winkel stand ein hohles Rindenstück mit Wasser. Auf einem Steinblock lag der halb zerrissene Kadaver eines Berghasen, der noch eine dünne, aus grauen Haaren geflochtene Schlinge um die gedrosselte Kehle hängen hatte.

Vor kurzer Weile noch mußte der Bygotter hier gewesen sein; denn als der Kommandant und seine beiden Begleiter die Höhle wieder verließen, sahen sie im Schnee eine frische Spur über den steilen Hang der Waldschlucht aufwärts steigen. Mit keuchender Mühe arbeiteten sie sich empor und hielten, als sie unter Bäumen die Höhe erreichten, erschrocken still.

Die kahle, von tiefem Schnee bedeckte Kuppe, die sich vor ihnen erhob, war die Sonnbergplatte. Dort oben, an einer Stelle, von welcher der Wind den Schnee gefegt, sahen sie den Bygotter mit ausgebreiteten Armen auf den Knieen liegen, das starre, leichenähnliche Gesicht gegen den Himmel gerichtet. Sie hörten nur das heisere, zornige Murmeln seiner Stimme, ohne seine Worte zu verstehen. Gleich einer festen Masse stand ihm der mächtige Bart vom Halse. Seine Linnenkleider starrten von Schmutz; überall hingen die Fetzen nieder und die klaffenden Risse entblößten den Körper.

Da brach ein dürrer Ast, auf den sich einer von den Dreien gestützt.

Mit gurgelndem Laute fuhr der Bygotter in die Höhe, seine glühenden Blicke schossen nieder über den Hang, „Philister – Philister über mir!“ schrie er mit gellender Stimme in die Lüfte, stürzte davon in wilder Flucht und verschwand in der Tiefe des nahen Felsenkars.

Mit zornigem Fluche eilte der Kommandant ihm nach, während einer seiner Begleiter durch die hohlen Hände hinunterschrie in die Waldschlucht:

„Leut’ – da ’rauf – da is er – da!“

Nun kamen sie einhergerannt und emporgestiegen, Einer nach dem Andern, mit lautem Schelten oder kreischenden Fragen, und Jeder trat in die ausgewatete Spur, die er vorfand.

Karli, welcher am weitesten von der Sonnbergplatte entfernt gestanden, erreichte als Letzter die Höhe der Kuppe.

Bangendes Entsetzen lähmte seine Schritte, als er jenseit des Felsenkars den Bygotter aufwärts flüchten sah über die steilen, brüchigen Felsen der Sonnbergwände. Und während unter seinen Füßen Schnee und Geröll sich löste und in die Tiefe prasselte, während er Stein um Stein auf seine Verfolger niederschleuderte, gellte seine Stimme:

„Vertilge sie, Herr – vertilge sie – rette Deinen Knecht – schleudere Deine Blitze – Berge stürze über sie – und öffne Deine Wolken – mir – mir! Alles – mein Alles hab’ ich Dir – Dir gegeben! Und Du – was giebst Du mir?“

Da sah ihn Karli stürzen, sah, wie er sich mühsam noch erhielt, wie er sich emporraffte und wieder aufwärts flüchtete gegen den Grat des Berges.

In angstvollem Laufe stürmte der Bursche über den Hang der Kuppe nieder, und während er den letzten der Männer erreichte und am Arme packte, schrie er den anderen nach:

„Leut’ – Leut’ – Jesus Maria – Leut’ – so hört’s doch auf – so laßt’s doch ab von ihm – es muß ja an Unglück geben!“

Sie aber hörten nicht auf ihn. Als hätte der Anblick des Bygotters oder der Sinn seiner Worte oder das unheimliche Sausen der Steine, die, von Fels zu Felsen prallend, über ihre Köpfe hinwegflogen, sie in blinde Wuth gebracht, so kletterten sie ihm nach, und je näher sie ihm kamen, mit desto lauterem Geschrei befeuerten sie einander.

Und immer mischte sich in ihr Geschrei und in das Poltern der fallenden Steine die gellende Stimme des Wahnsinnigen:

„Siehe, Herr – schon nahen sie mir – Deinem Knechte! Ich rufe zu Dir – in meiner Noth – die Wolken öffne mir – den Himmel – sende mir – des Elias’ feurigen Wagen – daß ich auffahre – zu Dir – und Deiner Herrlichkeit –“

Da erlosch diese Stimme; von Karli’s erblaßten Lippen hallte ein dumpfer Schrei, und während die Männer auf dem steilen Berghang in jäher Flucht ihre Rettung suchten, starrte Karli mit brennenden Blicken regungslos zur Höhe. Noch eben hatte dort oben die Gestalt des Bygotters scharf vom Himmel sich abgehoben – jetzt war sie verschwunden – und unter der Stelle, an welcher sie gestanden, stäubte eine weiße Wolke auf, welche langsam erst, dann schneller und schneller über das steile Gewände niederrollte, mit jeder Sekunde sich vergrößerte, Schnee und Steine in breiter Gasse mit sich riß und ein wirres Geräusch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_875.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)
  NODES
mac 1
os 8
text 4
ufw 3