Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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und dem heraustretenden Sultan wurde vom Uisir el Kebir[1] Si Thaib Bu Aschrin gemeldet, daß Sir Drummond Hay, der britische Gesandte, angekommen sei. Ich blieb nur einen Tag in Haft. Si Thaib Bu Aschrin vermittelte ein Schreiben von mir an Sir Drummond Hay, und ihm verdankte ich in kurzem nicht nur meine Befreiung, sondern die Erlauhniß, in ganz Marokko reisen zu können, wohin es mir beliebte. Ich aber war froh, von den gefährlichen Haremsbesuchen entbunden zu sein.
Nun zur Wirklichkeit übergehend, berichte ich:
Es giebt keinen eigentlichen Schatzmeister in Marokko, noch gar einen Finanzminister, denn den Schlüssel zur Hauptkasse, welche in Mekineß sein soll, hat der Sultan selbst. Daß eine Hauptabtheilung des dortigen Palastes, welche von außen einen vollkommen fensterlosen, viereckigen, steinernen Würfel darstellt, „el dar el chasna“ oder „bit el mell“ (Schatzhaus) heißt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen; anscheinend hat dieses massive Gebäude von außen gar keinen Zugang, indeß liegt eine Seite nach dem Harem zu, und von dort aus wird wohl auch der Eingang genommen werden. Die Marokkaner behaupten, der Zugang zum Schatze führe unterirdisch durch einen Tunnel. Das Innere wird beschrieben als eine ausgemauerte Höhlung, in der wieder ein gemauertes Gemach enthalten sei. Aber dies ist wohl Fabel, denn niemand dürfte je einen Blick ins Innere gethan haben. Ebenso sind die Summen, welche im Schatzhaus angehäuft liegen sollen, wohl lange nicht so bedeutend, als manche herausgerechnet haben. Französische Schriftsteller haben die Ersparnisse der marokkanischen Regenten auf 300 Millionen Franken, ja auf eine Milliarde veranschlagt, ohne zu bedenken, daß das, was der eine Sultan zurückgelegt hatte, oft vom folgenden, der durch Usurpation und Gewaltmittel auf den Thron kam, an einem Tage der Plünderung preisgegeben wurde. Als z. B. an Spanien jene 22 Millionen spanischer Thaler Kriegsentschädigung gezahlt werden mußten, fand es sich, daß der Staatsschatz leer war. Oder durfte und wollte der Sultan ihn nicht angreifen? Am wahrscheinlichsten ist doch, daß das Geld gar nicht vorhanden war.
Dies hatte ich im Jahre 1861 geschrieben, und ich lebe auch heute noch der Ueberzeugung, daß in Marokko kein Staatsschatz, oder sagen wir lieber: Schatz der Sultane vorhanden ist. Wenn er irgendwo wäre, könnte er aber nur in Mekineß sein, erstens weil Mekineß eine verhältnißmäßig sichere, gewissermaßen militärische Stadt ist, zweitens weil dort das Haus, das den Schatz beherbergen soll, von mir mit eigenen Augen gesehen wurde, was alles auf Fes nicht zutrifft. Aber gar, wie Lenz es thut, von Tafilet sprechen zu wollen als dem Ort, der den Schatz bergen könnte, ist ganz unannehmbar, weil er dort der größten Unsicherheit ausgesetzt wäre. Abuam sowohl als Rissani, Hauptplätze von Tafilet, haben gar keine Steinbauten, sondern nur Wohnungen aus an der Sonne getrockneten Backsteinen. Außerdem ist die Autorität der Sultane von Marokko in Tafilet gleich Null. Die einzelnen „Ksors“ (Dörfer, meist mit einer aus Lehmsteinen hergestellten Mauer umgeben) leben in beständiger Feindschaft und immer auf dem Kriegsfuß. Der Sultan, dessen Regierung in Rissani sitzt, hat hier einen Kaid und etwa 100 „Maghaseni“ (bewaffnete Reiter) zu seiner Verfügung. Diese Maghaseni jedoch, die eigentlich beritten sein sollen, haben alle der theuren Verhältnisse wegen keine Pferde, nur der Kaid ist beritten, und seine Autorität beschränkt sich eben bloß auf den Ksor Rissani, wo er residiert. An den Thoren eines jeden Ortes in Tafilet findet man Tag und Nacht eine beständige Wache, jeder Ort ist unabhängig. Dazu kommt, daß in Tafilet zahlreiche Prätendenten sich befinden, Nachkommen Muley Ismaëls und Muley Seimans, die alle nur zu begierig wären, sich zu bereichern, und die gewiß nicht versäumen würden, einem etwa vorhandenen Schatze nachzuspüren und sich desselben zu bemächtigen. Tafilet ist deshalb der ungeeignetste Ort, um einen Schatz zu beherbergen.
Marokko ist ein Land, in welchem heute noch wie vor 100 Jahren von einer Finanzwirthschaft keine Rede sein kann. Die einzigen einigermaßen sicheren Einkünfte bezieht der Sultan aus den Eingangs- und Ausgangszöllen. Im Inneren des Landes herrscht die heilloseste Raubwirthschaft. Kein Beamter ist besoldet, sondern jeder muß sich seine Stelle kaufen und sieht deshalb zu, wie er das Geld systematisch von seinen Untergebenen wieder erpressen kann. Nun hat Marokko seit einigen Jahren in die Bahnen der Civilisation eingelenkt, d. h. der Sultan hat ein von Europäern befehligtes stehendes Heer, er läßt sich Schiffe, allerdings nur für seinen persönlichen Gebrauch, bauen, es werden Leuchtthürme errichtet, so am Cap Spartel, und Jünglinge ins Ausland geschickt, damit sie von dort als ausgebildete Offiziere oder als gelernte Bergleute nach der Heimath zurückkehren. Alles dies kostet Geld. Aber der Sultan bestreitet diese Ausgaben aus den Einkünften der Zölle, nicht aus einem angeblichen Schatze, den die Sultane angehäuft hätten wie das Deutsche Reich seinen Reichskriegsschatz im Juliusthurme zu Spandau. Die Macht, welche sich einst des marokkanischen Landes bemächtigen sollte, wird daher gut thun, die Hoffnung nicht zu hoch zu spannen, unserer Ueberzeugung nach giebt es keinen Schatz, weder in Mekineß noch anderswo in Marokko.
- ↑ Uisir el Kebir, d. h. der große Vizier, also der erste Minister, war zu meiner Zeit Si Thaib Bu Aschrin, dessen Name übersetzt soviel heißt als „Herr der Güte, Vater der zwanzig (Kinder)“ – ein ausgezeichneter Mann, bei dem ich in Mekineß Gastfreundschaft genoß.
Wiegenlied.
Hier in der alten verfallenen Pracht
Schlummere, Knabe, schlummere sacht!
Wohl hat die Sonne noch goldenen Stand,
Wohl zieht rauschend die Welle durchs Land,
Aber du
Träume nur zu –
Sonne und Strom auch, die wandernden, nah’n,
Träumend zu ruhen, dem Ocean.
Hörst du im tiefen Walde, mein Kind,
Dunkle Märchen flüstern den Wind?
Dort bei der Eichen düsterem Platz
Hütet der Riese den funkelnden Schatz;
Aber in Ruh’
Schlummere du!
Horch, wie die Spindel geht – hörst es so gern,
Mutter wacht und der Riese ist fern.
Selig, wen rein das Leben ließ –
Du darfst noch schauen das Paradies,
Darfst mit den Engeln spielen im Traum –
Stille! sie kommen, noch hörst du sie kaum,
Aber schon klingt’s,
Schwingt sich und singt’s,
Leise schließe die Augen, schlaf’ ein,
Und der Himmel, der ganze, ist dein!
Weit ist die Welt und enge dein Reich,
Kannst es umfah’n mit den Aermchen weich –
Nicht in der Ferne einst suche das Glück,
Kehrest nur müde zur Heimath zurück;
Mutterhut
Meint es so gut,
Geh’ nicht, so lang sie dich schirmen mag,
Ach, es endet der schönste Tag!
Müde schon schicken die Blumen den Hauch,
Neigen das Köpfchen und schlafen auch,
Bald glüh’n Sterne in dunkelndem Feld,
Heim zieh’n die Herden, es schweigt die Welt,
Hält nun wie du
Selige Ruh’ –
Darum hinein in die heilige Nacht
Schlummere, Knabe, schlummere sacht!
Adolf Marquardt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_151.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)