Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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und besteigen einen Zug der Sekundärbahn, die von Gemünden nach Hammelburg führt. Das ist so eine Art Dampfschnecke, die behaglich von Ort zu Ort schleicht – man merkt kaum, daß man weiter kommt, aber man kommt doch weiter und könnte dabei all die anmuthigen Landschaftsbildchen des Saalethales mit Gemüthsruhe in sein Skizzenbuch zeichnen. Endlich, nach einer guten halben Stunde, hält die Schnecke zum dritten Male – wir sind an unserem Reiseziel – dem „Fischgut Seewiese".
Aber . . . „was hat’s denn eigentlich mit solch einem Fischgut für eine Bewandtniß?“ haben nun wohl schon die meisten der Leser gefragt. „Warum züchtet man überhaupt Fische?“ „Reichen die Bewohner unserer Gewässer nicht aus, um das vorhandene Bedürfniß zu befriedigen?“
Was die letzte Frage betrifft, so müßte sie eigentlich anders gesteltt werden. Man müßte fragen, ob die in den Gewässern enthaltenen pflanzlichen und thierischen Nahrungsstoffe, die für den Menschen unmittelbar nicht verwendbar sind, durch Umwandlung in möglichst werthvolles Fischfleisch nicht weit besser ausgenützt werden könnten als bisher. Das sind auch Weideplätze, und was sie tragen könnten, geht bei uns leider größtentheils verloren. In England, wo man der Fischerei seit jeher besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, ist das ganz anders. Da ist zum Beispiel ein schottischer Lord, dem ein kleines Flüßchen jährlich die Summe von 120 000 Mark – für Angelkarten einbringt. Und die Angler sind zumeist kleine Leute, Arbeiter, die sich ein Sonntagsvergnügen machen und dabei ihren Tisch für ein paar Tage aufs billigste versorgen – noch dazu mit Fischen, wie sie bei uns in der Regel nur Millionäre und Defraudanten zu speisen pflegen. Wer das überlegt, wird sich leicht sagen, nach wie viel Richtungen hin unsere sozialen Verhältnisse werkthätig beeinflußt würden, wenn unsere Wasserläufe etwas mehr in den Vordergrund des öffentlichen Interesses träten. Neuerdings ist ja durch die segensreiche Thätigkeit der Fischereivereine schon vieles besser geworden, aber immer noch gehen ungeheure Summen für den Nationalwohlstand einfach verloren, weil so viele prächtige Weideplätze eben nicht – abgegrast werden.
Aber warum werden sie nicht abgegrast? Warum haben wir so wenig werthvollere Fische?
Die Antwort auf diese Frage giebt zugleich auch die Antwort auf die andere: Warum züchtet man Fische? Denn eine große Zuchtanstalt, wie das Fischgut Seewiese, beschäftigt sich eigentlich nur nebensächlich damit, feiste Lachse und Karpfen auf die Tafel zu bringen, wenn auch allein an Forellen etwa 30 Zentner im Jahr verschickt werden. Die Haupttäthigkeit ist der Heranzucht der Brut werthvoller Arten gewidmet, die dann in Flüssen, Bächen, Seen und Teichen ausgesetzt wird. So sehen wir denn auch im Augenblick, da wir die Anlage betreten, den Abgesandten des „Deutschen Fischereivereins“ sorgsam über eine Wage gebeugt, und in der Wagschale erblicken wir ein sonderbares Gewimmel winziger, dunkelschimmernder Geschöpfe – sie gehören zu den 150000 Lachsen, die der Anstalt eben entnommen werden, um den Neckar zu bevölkern. Und so gehen von Seewiese im Jahre durchschnittlich zwei Millionen Eier und eine Million junge Fischlein in die Welt. Diese „künstliche“ Bevölkerung der Wasserläufe aber ist nöthig, weil die Fortpflanzung der Fische eigentlich nur vom Zufall abhängt und oft unter störenden Einflüssen aller Art zu leiden hat. Auch haben sowohl die Eier wie die junge Brut zahlreiche Feinde – oder, wenn man will, „Liebhaber“ – aus dem Thierreich. So ist es kein Wunder, daß der Fischstand da oder dort, wenn er nicht besonders gepflegt wird, erheblich zurückgeht und daß werthvolle Arten bisweilen ganz verschwinden. Diesen Verlusten entgegenzuarbeiten, ist die Aufgabe der künstlichen Fischzucht.
Man züchtet allerdings auch Karpfen (Cypriniden) in Seewiese, aber entsprechend dem kühlen Bergwasser, das zur Verfügung steht, widmet man sich in erster Linie den Salmoniden, von welchen besonders die Bachforelle, der Saibling, die Seeforelle, der Rheinlachs, der schottische Lochleventrout, der nordamerikanische Bachsaibling, die kalifornische Regenbogenforelle und die Aesche (der Lieblingsfisch des Fürsten Bismarck) mit Erfolg gezogen werden. Daneben hat man auch Versuche mit anderen Arten, wie mit dem amerikanischen Forellenbarsch, dem Zander, der Maränte des Madüsees etc. gemacht, die indes bis jetzt nur zum Theil geglückt sind. Jede Art hat eben ihre besonderen Lebensbedingungen, erfordert besonderes Studium und besondere Pflege, und es giebt Fische, die so empfindlich und anspruchsvoll sind wie eine Primadonna oder ein Heldentenor.
In Seewiese haben sie es übrigens herrlich, und das Leben wird ihnen dort beneidenswerth leicht gemacht. Zwei köstliche Forellenthälchen senken sich hier rhönabwärts nach der Fränkischen Saale, das Thal der Schondra und das des Fischbachs, und das Wasser des letzteren wird für die Anstalt benutzt. Es ist so rein und frisch, wie sich’s eine Forelle nicht besser wünschen kann, und überdies entspringen ein paar Quellen auf dem Gute, die das ganze Jahr über immer kühles Naß spenden. Das Thälchen ist umgeben von bewaldeten Berghängen, so daß es weder an Schatten noch an reichlicher Insektennahrung fehlt, und ein paar Schritte weiter stießt die Saale vorbei, in der sich immer so viel Weißfische finden, als man zur Speisung der Lachse und Forellen bedarf. Man kann also den Fischen – was für die Zucht am günstigsten ist – genau dieselbe Nahrung bieten, die sie sich unter natürlichen Verhältnissen suchen, und andererseits ist in unserem nordischen Frühlingsklima kaltes Brutwasser ja auch eine Hauptbedingung für den Betrieb der künstlichen Fischzucht. Die Fischgattungen, um die es sich hier handelt, laichen in der späten Herbstzeit, und es gilt nun, das Ausschlüpfen der jungen Thiere möglichst zu verzögern, damit die Brut, wenn sie im Frühling ausgesetzt wird, den Tisch schon gedeckt findet. Je kälter aber das Brutwasser ist, desto langsamer geht auch das Brutgeschäft vor sich, desto später im Frühjahr kann man die Fischchen den Flüssen und Bächen übergeben.
Was nun die künstliche Fischzucht selbst betrifft, so ist sie keine Erfindung unserer Tage. Sie wurde schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem Deutschen Namens Jakobi ausgeübt, der sein Verfahren im „Hannoverschen Magazin“, Jahrgang 1763, ausführlich beschreibt. „Wenn die Forelle ordinär im Dezember den Laich ablegt,“ heißt es da u. a., „so nimmt man ein Weibchen und drücket von selbigem die Eier aus, welches durch ein sanftes Streichen aus dem Bauche des Fisches sogleich erfolgt, ohne daß man dem Fische etwas zu Leide thut. Wenn der Fisch aber geschlachtet werden soll, wird der ‚Laich‘ herausgethan, in eine thönerne Schüssel gegeben und zum Gebrauch hingestellt. Sodann nimmt man ein Männchen von der Forelle, streichet solches gleichfalls, lässet die davon kommende ‚Milch‘ auf die in der Schale befindlichen Eier fließen und rührt solches durcheinander. Mit dieser Schale geht man zu dem Bruttrog, dessen Boden ungefähr zwei Zoll hoch mit grobem Kiessand bedeckt ist, streut den Laich auf den Kiessand und gießt das Wasser in den Trog. Dann macht man den Deckel zu und beobachtet, daß das Wasser seinen beständigen Lauf behält.“
Das ist das Prinzip der künstlichen Fischzucht, und von ihm ausgehend haben sich nun verschiedenartige Systeme entwickelt, die im einzelnen zu besprechen hier natürlich nicht der Ort ist. Wir folgen vielmehr unserem Führer und treten in eine kühle geräumige Halle, in der ein beständiges Rieseln und Rauschen ist – das Bruthaus – und hier haben wir Gelegenheit, das keimende und wachsende Leben zu verfolgen, soweit dies eben angeht. Ist die künstliche Befruchtung vollzogen, so besteht die weitere Aufgabe des Züchters darin, die befruchteten Eier bis zum Ausschlüpfen und dann die junge Brut bis zur Selbständigkeit vor den Gefahren und Schäden zu bewahren, denen sie während dieser Zeit in der freien Natur ausgesetzt wären, und das geschieht eben im Bruthaus, in den Brutapparaten.
Wir sehen hier, mit den Rückseiten aneinanderstehend, zwei Reihen von Tischen, auf welchen die Tröge angebracht sind – Kasten, die ungefähr 2 Meter lang, 60 Centimeter breit und 20 Centimeter tief sind. In diese Kasten fließt nun beständig das Wasser, das vorher 11 Filterkammern durchlaufen hat, die abwechselnd mit Kies und Schwamm gefüllt sind. Würde das Wasser einfrieren, so wäre eine Summe von 12000 Mark verloren – der Werth der eben in den Apparaten befindlichen Eier. Aber auch abgesehen von dem ununterbrochenen Zulauf des Wassers gilt es da manche Schwierigkeiten zu überwinden. Für Ei und Fischbrut müssen eben Bedingungen geschaffen werden, die den natürlichen möglichst entsprechen, alle Feinde und andere zerstörende Einflüsse wie Ungeziefer, Schlamm und so weiter müssen ferngehalten werden und anderes mehr. In
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_594.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)