Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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mehr zu sanierende Häuser zum Abbruch verurtheilt werden. In Deutschland geht man, soviel ich weiß, höchstens soweit, bestehende Mietverträge aufzulösen und die Wiedervermiethung erst nach erfolgter Abhilfe zu gestatten, ein Abbrechen ungesunder Häuser und Stadttheile, Durchlegen neuer Straßen etc. erfordert Zustimmung der Hausbesitzer oder schwierige, oft sehr langwierige Verhandlungen über Enteignung und Entschädigung. Die Mängel und Verschiedenheiten der bestehenden Gesetze und Ordnungen müßten vor allem durch ein Reichsgesetz über diese Verhältnisse gehoben werden.
Besser schon ist auch in Deutschland für gesundheitsgemäße Neubauten gesorgt, aber auch in diesem Punkte herrschen in den Einzelstaaten sehr verschiedene, meistens ganz unzureichende Bestimmungen. Und doch ist es bei dem riesigen Wachsthum der Städte durchaus nothwendig, daß erträgliche Verhältnisse wenigstens hierbei gesichert werden und daß die Reichsgesetzgebung mindestens die Grundbestimmungen feststelle. Trockenheit und Reinheit des Baugrundes, gute Beschaffenheit des Baumaterials, frische Luft und unmittelbares Licht für alle zum dauernden Aufenthalt von Menschen benutzten Räume, also für Wohn- und Schlafzimmer, Arbeitsräume, Küchen etc., genügendes Austrocknen vor dem Beziehen, gehöriges Verhältniß der Häuserhöhe zur Breite der Straßen und Weite der Höfe, Anschluß an bestehende Wasserzu- und Wasserableitungen, sowie Schutz gegen Luft-, Wasser- und Bodenverunreinigungen, das müßten jene Grundbestimmungen der Bauordnung für Einzelhäuser festzustellen haben, während gleichzeitig gesetzliche Fürsorge dafür zu treffen wäre, daß an sich gesunde Wohnräume nicht durch Uebervölkerung oder andere Umstände gesundheitsschädlich gemacht werden dürfen.
Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat sich seit zwanzig Jahren vielfach mit diesen Angelegenheiten beschäftigt und unter Mitwirkung der berufensten Aerzte, Gemeindeverwalter und Bauverständigen Grundsätze für Städteerweiterungen, Bauordnungen und Wohnungspolizei aufgestellt, die bei voller Rücksichtnahme auf Grund- und Hausbesitzer und Bauunternehmer, auf Verkehrs- und Schönheitsinteressen den gesundheitlichen Verhältnissen ihr Recht zutheil werden lassen.
Diese Arbeiten des Vereins haben auf die Einführung und den Inhalt der Bauordnungen in manchen Einzelstaaten, sowie auf die Erweiterungspläne vieler Städte bedeutenden, theilweise geradezu maßgebenden Einfluß geübt; sie haben Anregung und Förderung gegeben bei zahlreichen hygieinischen Einrichtungen, namentlich wo es sich um Wasserversorgung, Entwässerung und Reinigung der Städte handelte, also um Maßnahmen von unbestreitbarem Einfluß auf die Verminderung der Sterblichkeit und die Fernhaltung von Volksseuchen. Aber bei der ganzen Frage hat sich mehr und mehr das Bedürfniß einer reichsgesetzlichen Grundlage für alle derartigen gesundheitlichen Verbesserungen herausgestellt, und dieses Bedürfniß ist durch die Choleraepidemie in Hamburg zu einer geradezu unabweisbaren Angelegenheit des öffentlichen Wohls geworden. Hoffen wir, daß diese gesetzliche Regelung rasch erfolgt und vor allem auf die hygieinischen Anforderungen an die Wohnungsverhältnisse der Städte jede gebotene Rücksicht nimmt!
Gesellschaft der Waisenfreunde. Vor etwas mehr als einem Jahre haben wir unseren Lesern die Mittheilung machen können, daß die verdienstvolle, seit Mitte der achtziger Jahre bestehende „Gesellschaft der Waisenfreunde“ sich nach einer Periode der Stockung neu gebildet hat, um ihre menschenfreundliche Thätigkeit mit frischer Kraft wieder aufzunehmen. Erfreulicher Weise hat der Verein seither einen bemerkenswerthen Aufschwung genommen. Die zahl seiner Mitglieder hat sich vermehrt, ansehnliche Jahresbeiträge und außerordentliche Spenden sind ihm zugeflossen, und der Geschäftsführer, Schuldirektor K. O. Mehner in Burgstädt, ist mannigfach durch zweckdienliche Mittheilungen über versorgungsbedürftige Waisen und durch Empfehlung des Vereins an kinderlose Familien unterstützt worden.
Wenn wir heute die Bitte an unsere Leser erneuern, durch eine rege Betheiligung die edlen Bestrebungen des Vereins zu fördern, so geschieht es zunächst deshalb, weil auf diesem Gebiet nie genug gethan werden kann, sodann aber auch deshalb, weil nur bei der vielseitigsten und ausgebreitetsten Theilnahme der wünschenswerthe Ausgleich zwischen „Angebot“ und „Nachfrage“ zu erreichen ist. Denn naturgemäß sind die Wünsche der Eltern, die zur Annahme eines Waisenkindes im allgemeinen sich geneigt zeigen, sehr verschieden, so daß sich oft unter den angemeldeten Kindern das jenen Wünschen Entsprechende nicht findet. Und doch möchte der Verein nur gut Harmonierendes zusammenfügen – er erläßt daher die Bitte namentlich an Vormünder und Vormundschaftsbehörden, die arme Waisen und besonders Mädchen im Alter von 1 bis 3 Jahren zu versorgen haben, sich an den obengenannten Geschäftsführer der Gesellschaft wenden zu wollen.
Jenem Uebelstand kann eben nur durch eine recht vielseitige Inanspruchnahme des Vereins abgeholfen werden, weil dann auf Seiten der Eltern wie der Kinder die Auswahl am reichsten ist. Freilich bedarf der Verein dann auch ausgiebiger Mittel, um seine schöne Aufgabe sachgemäß zu bewältigen, und wir wiederholen daher hier die Adresse des Schatzmeisters der Gesellschaft, welcher Anmeldungen zur Mitgliedschaft und Beiträge entgegennimmt. Sie ist: Franz Beyer, im Hause Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig, Königstraße 33 p.
Pietro Mascagni. (Mit Bildniß.) In den letzten Wochen war Wien von einem musikalischer Begeisterungstaumel erfaßt, der selbst im reichen Musikleben der Donaustadt seinesgleichen sucht. Pietro Mascagni, der mit einem Schlage berühmt gewordene italienische Komponist, war gekommen, um im Wiener Ausstellungstheater die Aufführung seiner Opern durch eine italienische Truppe selbst zu dirigieren. —
Es ist ein eigenartiges Schauspiel – das plötzliche elementare Aufsteigen dieses Talents. Mit dem Altwerden Verdis betrachtete man die klassische Zeit der italienischen Opernkompositionen gewissermaßen als abgeschlossen, mit dem „Othello“ schien der Altmeister vor drei Jahren seinen letzten Trumpf ausgespielt zu haben. Da mit einem Male ging in dem bisher selbst in seinem engeren Vaterland so gut wie unbekannten jugendlichen Pietro Mascagni ein neuer Stern auf, und das ewige Einerlei des italienischen Opernrepertoires hat eine Aufbesserung erfahren, die zweifellos aufs angenehmste empfunden wird. Die „Sicilianische Bauernehre“ Mascagnis hat einen fast unerhörten Siegeszug durch alle Lande vollendet, und sein „Freund Fritz“, obwohl offenbar von weniger elementarer Wirkung, scheint im ganzen kein unebenbürtiger Genosse der „Bauernehre“ zu sein.
Wer ist nun dieser bis dahin ungekannte Meister der Töne?
Mascagni lebt in dem kleinen Städtchen Cerignola bei Foggia in Unteritalien, berühmt durch die Niederlage der Franzosen am 28. April 1503 unter Ludwig, Herzog von Nemours, Vicekönig von Neapel, der in dieser Schlacht gegen die Spanier unter Gonsalvo da Cordova seinen Tod fand. Mascagnis Geburtsort dagegen ist San Miniato al Tedesco im Toskanischen, sein Alter 27 Jahre. Seine musikalische Ausbildung erhielt er in Livorno und Mailand. Praktisch erprobte er sich als Kapellmeister bei der Operettengesellschaft Sconamiglio, dann wurde er als Organist und Kapellmeister der Philharmonie nach Cerignola berufen. Der junge Maestro muß, nach seinen vielen Kompositionen zu urtheilen, einen grossen Drang zu musikalischer Gestaltung seiner Gedanken in sich spüren. Vorwiegend beschäftigte er sich mit kirchlicher Musik und Liederkompositionen. Uns Deutsche wird es besonders interessieren, daß er unter anderm auch Schillers „Lied an die Freude“ in Töne gesetzt hat und daß gerade die Aufführung dieses vierstimmigen Chors mit Orchesterbegleitung zum ersten Male auf den begabten Musiker aufmerksam machte, der so etwas mit 17 Jahren zustande gebracht hatte. Mit der Kirchenmusik scheint Mascagni weniger Glück gehabt zu haben, denn trotz seines jetzigen Weltrufes ist die große Messe, welche er zur Säkularfeier des Domes von Orvieto geschrieben hat, ohne Umschweife gesagt, glänzend durchgefallen. Von fast fertigen Opern liegen in seinem Pulte: „Guglielmo Ratcliff“ und die „Rantzau“, nach Erckmann-Chatriau.
Die sogenannte „Spieloper“ galt bis daher – leider – längst als begraben. Hoffen wir, daß in Pietro Mascagni ihr ein lebenskräftiger Erwecker erstanden sei. Alfred Ruhemann.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_705.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2023)