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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und zwei Glas Bier! – Setzen Sie sich – so! Eine Cigarre gefällig? Nicht? Wie Sie wollen! Und nun zu unserer Angelegenheit! Sehen Sie, ich pflege, theils von Berufswegen, theils aus Neigung, alle diejenigen im Auge zu behalten, mit denen amtlich in Berührung zu kommen ich Gelegenheit hatte.“

Röver zuckte abermals zusammen.

„Ich habe auch Sie nicht aus den Augen verloren und – auch einen anderen nicht ... aber da ist das Beefsteak! Greifen Sie zu, es ist ganz passabel!“

„Wenn Sie zur Sache kommen wollten ...“

„Ich bin mitten drin. Ich habe Sie also beobachtet, habe gesehen, daß es Ihnen miserabel geht, daß Sie aber arbeiten können und wollen, daß Sie ausdauernd, genügsam, nüchtern sind und selbst durch Außergewöhnliches nicht aus Ihrer Bahn geworfen werden. Das ist viel, ist die eine Hälfte von den Eigenschaften, welche zu dem Beruf, den ich Ihnen vorschlagen möchte, erforderlich sind; die anderen können erworben werden, und Sie mit Ihrer Ausdauer werden sie erwerben. Also kurz und gut. ich biete Ihnen eine Anstellung bei der Polizei unter meiner besonderen Leitung. Wollen Sie sie annehmen?“

Röver öffnete die Augen weit, und ein leises Roth stieg in seine Wangen. Er theilte vollauf die verbreitete Abneigung gegen einen derartigen Beruf. „Nein!“ sagte er mit Ueberzeugung.

„Schön,“ erwiderte der Polizist, „das habe ich erwartet. Allein deshalb brauchen Sie Ihr Frühstück nicht kalt werden zu lassen. – Sie haben vermuthlich eine kaufmännische Stellung in Aussicht?“

„Das freilich nicht –“

„Oder hoffen doch, über kurz oder lang eine solche zu erhalten?“

„Niemals, niemals wieder!“

„Wollen Sie dann bis an Ihr Lebensende Abschriften fertigen, den Bogen zu fünf Pfennig?“

Röver hatte keine Antwort auf diese Frage. Er stemmte die Faust auf den Tisch und sah starr vor sich nieder. Waldmann jedoch, dem der Duft gebratenen Fleisches gar verlockend in die Nase stieg, begann leise winselnd an seines Herrn Knie zu kratzen und wollte sich nicht zufrieden geben. Da schnitt Anton mit wehmüthigem Lächeln die erste Schnitte von dem Beefsteak ab und gab sie ihm.

„Verzeihen Sie, Herr Kommissar! Er hat lange kein Fleisch zwischen den Zähnen gehabt, der arme Schelm. Sie haben es selbst gesagt, daß es mir miserabel geht. Es ist wohl eine Narrheit, sich in meiner Lage einen Hund zu halten. Wenn ich’s über mich vermöchte – ich hätte ihn längst abgeschafft.“

„Thun Sie sich keinen Zwang an,“ sagte der Beamte freundlich, schob die Reste seiner eigenen Mahlzeit auf dem Teller zusammen und setzte sie dem Hunde vor. „Der hübsche Kerl muß auch sein Recht haben. Wenn Sie einer der Unseren sein wollten – weder Ihnen noch dem Waldmann da würde in Zukunft ein guter Bissen fehlen. Wir bezahlen unsere Leute ausgiebig nach dem Grundsatz: Hungrige Katze fängt schlecht. Warum wollen Sie eigentlich nicht? Aus Stolz? Ist es eine Schande, die menschliche Gesellschaft von Spitzbuben und Halunken zu befreien? Oder meinen Sie, daß es entehrender sei, Uebelthäter ausfindig zu machen, als sie abzuurtheilen, wie es die Richter, zu bewachen, wie es die Gefängnißbeamten thun, und das sind doch alles höchst ehrenwerthe und angesehene Leute?“

„Ich bin nicht stolz,“ sagte Röver leise, „ich würde jede Stellung annehmen – nur ... ich mag keinen so unglücklich machen, wie ich’s geworden bin.“

„Hm, das läßt sich hören. Die Justiz ist nicht allwissend; ungerechte Urtheile kommen vor, und manchmal läßt sich, wie in Ihrem Falle, eine Strafsache uberhaupt zu keinem reinen Austrag bringen. Aber das liegt doch an der Unvollkommenheit menschlicher Einsicht. Wenn man alles genau erforschen könnte, dann wäre ein Ausgang, wie ihn die Anklage gegen Sie genommen hat, unmöglich. Doch auch dieser steht ja nicht unabänderlich fest. Gericht und Publikum lassen sich gern eines Besseren überführen. Gerade wenn Sie in unseren Beruf eintreten, werden Sie reichlich Mittel und Gelegenheit finden, Ihre eigene Sache zu revidieren, und, wer weiß, ob nicht mit günstigem Erfolg.“

„Sie meinen –?“ Anton horchte hoch auf. Zum ersten Male wieder stieg die Hoffnung groß und glänzend vor ihm auf. „Das – das könnte sein – Sie halten einen günstigen Erfolg für möglich? Also glauben Sie, Sie wenigstens nicht an meine Schuld? Täuschen Sie mich nicht, Herr Kommissar ... Sie würden so gewiß nicht sprechen, wenn Sie nicht irgend eine Vermuthung hegten, einen Verdacht gegen einen anderen – dieser andere – aus Barmherzigkeit – nennen Sie mir seinen Namen!“

„Mein junger Freund, gemach! Ich habe eine Spur, das will ich Ihnen nicht verhehlen, und ich verfolge sie, aber ich zeige meine Karten nicht, am wenigsten einem Laien. Nur soviel kann ich Ihnen sagen: nach meiner Kenntniß von den Gepflogenheiten der Verbrecher, nach meinen früheren und heutigen Beobachtungen halte ich persönlich es für ausgeschlossen, daß wir in Ihnen einen Betrüger zu sehen haben ... Jubeln Sie nicht zu früh – meine persönliche Ueberzeugung nützt Ihnen leider gar nichts!“

„Dennoch danke ich Ihnen, danke Ihnen mehr, als ich auszudrücken vermag,“ sprach Röver, und seine düsteren Augen glänzten. Wie eine Vision zogen vor seinem Blicke die Bilder einer behaglichen Existenz vorüber, wie er sie künftig seiner alten Mutter verschaffen konnte, wenn er das Anerbieten des Mannes annahm – dazu die Gewißheit, täglich mit einem Menschen verkehren zu dürfen, der ihn nicht für einen Dieb hielt; die Hoffnung, durch die vereinten Nachforschungen die Wahrheit ans Licht zu bringen, seinen unbescholtenen Namen zurückzugewinnen . . . Er athmete tief auf. „Sie glauben an mich, Herr Kommissar, Sie bieten mir die Aussicht auf eine bessere Zukunft – nun wohl, wenn Sie’s mit mir versuchen wollen – ich bin der Ihre!“

Ein herzlicher Händedruck besiegelte den Bund. –

Als Frau Röver keuchend von ihrem Packträgerdienst heimkehrte, sah sie verwundert das heitere Gesicht ihres Sohnes. „Koch’ uns heute etwas Gutes, Mutter, die Zeit des Hungerns ist vorbei!“ rief er ihr entgegen.

„Gott sei Dank – Du bast eine Stelle gefunden?“

„Ja.“

„Bei einem Kaufmanne?“

„Bei der Polizei.“

Die alte Frau fuhr merklich zurück.

„Du wirst satt zu essen haben,“ sagte Anton beruhigend, „und ich thue nichts Unrechtes. Warum willst Du Dich also nicht freuen?“

So trat Anton denn sein neues Amt an und lebte seine Tage hin in einer Art nicht unangenehmer Betäubung. Er kleidete sich anständig, litt keinen Mangel, sah die Mutter halbwegs und Waldmann völlig zufrieden und gab sich Mühe, weder voraus noch zurück zu denken. Seinen Beruf füllte er aus, wenn er sich auch nicht besonders auszeichnete. Denn die Schlauheit des Fallenstellers, der Spürsinn des Jägers, die Freude an der Ueberlistung blieben ihm immer fremd. Aber das launenhafte Glück, das häufig dem Anfänger lächelt, während es den Meister hartnäckig flieht, half ihm einen und den anderen guten Fang thun. Auch benutzte sein Chef, der ihm herzlich wohl wollte, seine außergewöhnlichen Sprachkenntnisse und verwendete ihn, was seinem Schützling mehr zusagte, zeitweilig im Bureaudienst.

Durch dieses verhältnißmäßig sorglose Leben körperlich gekräftigt, durch das Vertrauen, das wenigstens ein Mensch, und ein Menschenkenner obendrein, in seinen Charakter setzte, allmählich wieder in seiner eigenen Meinung gehoben, begann Röver mit freierem Gemüth die Umstände zu überdenken, aus denen sein Unglück entsprüngen war, planmäßig den Verdacht zu prüfen, der erst ohne Ueberlegung und ohne entscheidenden Grund in seinem Innern aufgestiegen war. Und je länger und ruhiger er erwog und prüfte, um so mehr verstärkte sich seine Vermuthung. Freilich, räthselhaft blieb noch immer für ihn, was einen jungen Menschen in so glücklichen geregelten Lebensumständen wie Julius Meermann getrieben haben konnte, die Hand nach fremdem Eigenthum auszustrecken. Geregelt? Je nun, hatte Meermann nicht eine höchst unbegreifliche Vorliebe für den verkommenen und jetzt spurlos verschwundenen Fritz Habermann an den Tag gelegt? Und wer war ihm denn neulich in später Nacht entgegengetaumelt, als er ein verrufenes Gäßchen abpatrouillierte? War der todblasse Gesell mit den tiefliegenden starren Augen, der beschmutzten Kleidung wirklich der hübsche geschniegelte Konfektionschef von Wilson und Kompagnie, der Löwe unter seinen Kollegen? Es galt also, das Treiben des leichtsinnigen Menschen zu überwachen. Und nun verfolgte Röver den ehemaligen Freund beinahe Nacht für Nacht auf seinen Schleichwegen. Ja, die dunklen häßlichen Gäßchen im Innern der Stadt waren wohl ein Sieb, in dem dreitausend Mark spurlos versickern konnten! Nur eines verwirrte ihn immer noch: woher kam einem Kaufmann eine solch taschenspielerartige Fertigkeit der Hände, daß ihm der kurze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_762.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2023)
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