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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Augenblick des Gesprächs am Telephon für den unglückseligen Tausch genügen konnte? Da sah er Meermann einst in einer Kneipe mit staunenswerther Meisterschaft Kartenkunststücke zum besten geben. Nun schwand sein letzter Zweifel. Der Bruder Gretchens, die ihn um dieser selben That willen so grausam gekränkt hatte – er war der Dieb, war jetzt seiner gerechten Rache verfallen!

Zitternd vor Aufregung suchte Röver seinen Chef auf.

„Herr Kommissar! Den Urheber der Unterschlagung – ich – ich weiß ihn.“

„Das wird uns wenig nützen. Den Mann hatte ich längst, aber die Beweise?“

Ernüchtert senkte Röver den Kopf. „Wir werden sie niemals finden!“

„Im Gegentheil, er selbst wird sie uns entgegenbringen. Die Dinge gehen gut. Nur kaltes Blut, offene Augen und – Geduld!“

So faßte sich Anton denn in Geduld; er bändigte seinen Haß gegen den Elenden, die wilde Empörung über sein Schicksal und lebte sein altes Leben weiter.

Manchmal, wenn er heimkehrte, fragte die Mutter: „Nichts Neues, Toni?“

„Immer das Alte,“ antwortete er dann und bemühte sich, es möglichst unbefangen zu sagen. „Ist auch am besten so! Wir können’s wohl aushalten, Mutter.“

Dazu schüttelte die Alte den Kopf und seufzte. „Freilich, man sollte sich daran gewöhnen.“

Aber sie gewöhnte sich nicht, weder an den ihr unheimlichen Beruf des Sohnes noch an die Mißachtung, die stündlich aus den Blicken der Nachbarinnen zu ihr sprach; am wenigsten an die klaglose, stumme, aber unüberwindliche Trauer, die über das ganze Wesen ihres Sohnes ausgebreitet war. (Schluß folgt.)     


Die Weimarischen Festtage.

Mit Zeichnungen von Richard Starcke.

„Gott grüß Euch, Brüder, sämmtliche Oner und Aner!
Ich bin Weltbewohner – bin Weimaraner –

Wohin willst Du Dich wenden?
Nach Weimar-Jena, der großen Stadt,
Die an beiden Enden viel Gutes hat –“

Also sang der Altmeister Goethe vor mehr als drei Menschenaltern, aber daß auch heut’ noch die Ilmstadt als Mittelpunkt geistigen Gebens ihren alten klassischen Nimbus bewahrt hat, dafür gab die Jubelfeier der Goldenen Hochzeit des großherzoglichen Fürstenpaars Carl Alexander und Sophie vollwichtiges Zeugniß. Ein Jahrhundert ist im Kulturleben der Menschheit keine große Spanne, trotzdem ist dies Festhalten an alten Ueberlieferungen in unserer raschlebigen Zeit ein bedeutsames Zeichen. Und neben die unvergänglichen Spuren, welche die klassische Epoche hinterlassen hat, haben sich diesmal Kundgebungen deutscher Treue und Liebe gestellt, welche unmittelbar aus dem Herzen des Volks ihre Blüthen trieben. Goldene Hochzeiten sind im Laufe der Jahrhunderte im Hause Wettin mehrfach gefeiert worden, aber wohl keine mit so reichem Glanze, mit so überströmender Herzlichkeit und Wärme, gleichsam wie ein Familienfest des ganzen Volks, und wenn ein Gedicht der Weimarer Zeitung vom 8. Oktober begann:

„Heil Euch – ein halb Jahrhundert schwand,
Seit Ihr den Lebensbund geschlossen.
Geläut hinwogt durch Stadt und Land,
Ein Jubelstrom hat sich ergossen.
Das sind erhabene Weihestunden,
Wenn Goldner Hochzeit Myrthe blüht.
Was Euch beglückt, wird mitempfunden
Zugleich im tiefsten Volksgemüth“ –

so waren das keine Phrasen, sondern der ungeschwächte Ausdruck der Wahrheit.

Aus dem Festzug: Huldigung der thüringischen Städte.

Den Beginn der festlichen Zeit machte am 1. Oktober die Aufführung des „Bernhard von Weimar“ von Wildenbruch. Ich glaube nicht, daß der Berliner Dramatiker dies Stück für diese Gelegenheit neu geschrieben hat, sonst wäre die Wahl des Stoffs eine sonderbare; denn was hat ein Held des Dreißigjährigen Kriegs mit der Goldenen Hochzeit des Fürstenpaares in unserem Jahrhundert zu thun? Aber wenn es die Absicht war, überhaupt die Dynastie durch einen Helden des Hauses zu feiern, so war die vorhandene, aber hier noch unbekannte Neuheit ganz willkommen. Bekanntlich haben sich schon mehrere Dramatiker an diesem Stoffe versucht, aber keiner hat dessen Klippen ganz überwinden können. Nur widerwillig folgen die Sympathien einem deutschen Fürsten, der bewußt oder unbewußt mit dem Erbfeind paktiert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_763.jpg&oldid=- (Version vom 25.4.2023)
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