Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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Es war einmal ein König und eine Königin, so beginnt das Märchen vom „Dornröschen“, die sprachen jeden Tag: Ach, wenn wir doch ein Kind hätten! – und bekamen immer keins. Da gebar endlich die Königin ein Mädchen, das war so schön, daß sich der König vor Freude gar nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er lud nicht bloß seine Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kinde hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, so mußte eine von ihnen daheim bleiben. Als das Fest aus war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichthum und so mit allem, was man sich wünschen kann. Als elfe ihre Sprüche eben gethan hatten, trat plötzlich die Dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, daß sie nicht eingeladen war, und rief mit lauter Stimme: Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen! – und verließ den Saal. Die Dreizehnte bringt Unglück.
Und es war einmal ein König in Thessalien, erzählt die griechische Mythologie, mit Namen Peleus, der freite die Nereide Thetis. Zu der großen Hochzeit, die auf dem Berg Pelion stattfand, waren die zwölf Götter eingeladen, nicht aber Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie brachten dem Brautpaar reiche Gaben dar, Poseidon schenkte dem Peleus die unsterblichen Rosse, die nachmals Achilles erbte, der Centaur Chiron die wunderbare Lanze, die verwundete und heilte – da erschien plötzlich Eris, die nicht mit Eingeladene, und warf, da man sie nicht hereinließ, einen goldenen Apfel unter die Gäste mit der Aufschrift: „Der Schönsten“. Das war die Veranlassung, daß die drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite einander schalten, Paris zum Schiedsrichter ernannt ward, die Helena raubte und der Trojanische Krieg ausbrach. Die Dreizehnte bringt Unglück.
Soll ich noch an ein drittes Fest erinnern, bei dem ein Dreizehnter Unglück gebracht hat? Es ist die letzte Mahlzeit, die Jesus mit seinen Jüngern am Vorabend seines eigenen Todes einnahm. Christus und die Zwölf, macht zusammen dreizehn: der Dreizehnte war der Verräther, der Unglückbringende. Aber auch der Erlöser selbst war der Dreizehnte – und er mußte sterben. So kam es, daß der Aberglaube umsprang und anstatt der Nutzanwendung: der Dreizehnte bringt Unglück! die andere zog: der Dreizehnte muß sterben.
Christi Leiden und Sterben ist eine volksthümliche Tragödie, welche die Einbildungskraft der Menschheit seit Jahrhunderten erfüllt und heute noch in allen möglichen Formen zur Darstellung gelangt. Im Mittelalter war sozusagen jede Stadt und jede Kathedrale ein beständiges Oberammergau; die Gläubigen von damals ließen es beim bloßen Zusehen nicht bewenden, sie wollten selbst mitspielen und bei der Handlung mitwirken, die jah[r]aus jahrein die Gemüther beschäftigte: am Palmsonntag, wenn der Palmesel he[r]umgeführt ward, miteinziehen, auf Gethsemane mit den Erlöser greifen und mit den Judas jagen. Die Folge war, daß die gesammte evangelische Geschichte wie keine andere mit allen ihren Einzelheiten ins Leben und gewissermaßen ins Blut des Volkes überging, Sitten und Gebräuche veranlassend, deren Ueberlebsel jetzt kaum noch verstanden werden. Im Mittelpunkt der Passion steht das Abendmahl, und von ihm schreibt sich als Ueberlebsel der Aberglaube h[e]r, der die Zahl Dreizehn umspinnt. Aber auch der Freitag zog aus diesem Vorstellungskreise die ihm anhaftende geheimnißvoll schreckhafte Bedeutung, und ebenso könnte man versucht sein, dies bei dem Salzfaß zu vermuthen.
Auf des großen Leonardo da Vinci allbekanntem Bilde, das er in dem Kloster der Dominikaner von Santa Maria delle Grazie bei Mailand an die Wand des Speisesaals gemalt hat, stößt Judas Ischariot durch eine ungeschickte Bewegung mit dem linken Arme das Salzfaß um. Ist denn das nach den biblischen Berichten etwa thatsächlich geschehen und ist dadurch das schlimme Omen, das allerorten auf dem umgeworfenen Salzfaß ruht, hervorgerufen worden? – Unmöglich w[ä]re es an sich nicht, denn das Salz fehlte auf dem hebräischen Tische nicht, ja, es galt hier eben für ein Sinnbild der Freundschaft und der Treue, ein ewiger Bund heißt im Alten Testament ein „Salzbund“ und ein Verräther noch heute im Orient ein „Salzverräther“. Ueberhaupt aber betrachteten alle alten Völker, die Semiten sogut wie die Arier, das Salz als etwas Heiliges, es verlieh der Mahlzeit die Weihe eines Opfers, sie hielten strenge darauf, daß es ehrerbietig und nach Gebühr behandelt werde. Das Salzfaß stand in der Mitte der Tafel, von Silber und auf silberner Platte, es wird ausdrücklich berichtet, daß der ärmste Römer, als die Sitten noch einfach waren, dies Geräth von Silber haben wollte. Das Salz zu vernachlässigen, zu vergessen, auf dem Tische stehen zu lassen, weissagte dem Besitzer Unglück; es umwerfen, hieß die Hausgeister erzürnen. Es war wie das Feuer, von dem Schiller in dem „Lied von der Glocke“ singt:
„Wohlthätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.“
Am unrechten Orte und im Uebermaß ausgestreut, besaß das Salz nach alter Meinung eine verwüstende, um mich modern auszudrücken, eine „sterilisierende“ Kraft; es machte – und die Wissenschaft widerspricht dem nicht gerade – unfruchtbar und vernichtete alles Leben wie die Salzfluth des Toten Meeres. Es wurde daher zum Zeichen einer ewigen Zerstörung auf die Ruinen einer geschleiften Stadt geworfen. Das geschah nicht bloß im Heiligen Lande, das geschah noch am 25. März des Jahres 1162 in der Lombardei, wo „Kaiser Rothbart lobesam“ Mailand mit deutschem Pfluge pflügen und mit Salz besäen ließ. Das war eben jenes Mailand, wo nachmals Leonardo da Vinci das Abendmahl gemalt hat. Nun erkennt man sofort die hohe Sinnbildlichkeit des verschütteten Salzes: wo das Salz hinfiel, konnte fürder nichts mehr wachsen, der Herd, auf den es flog, verödete, der Tisch, um den sich eine blühende Familie scharte, ward leer.
Nun dürfte man sich doch zu den vier Evangelisten dessen versehen, daß sie sich, wenn Judas beim Abendmahl wirklich das Salz verschüttet hätte, diesen wirkungsvollen Zug nicht hätten entgehen lassen; sie erwähnen indessen davon nichts. Man darf also schließen, daß Leonardo da Vinci diesen Zug aus eigenem Ermessen hinzugefügt hat und daß der Aberglaube in diesem Falle ungleich tiefer sitzt.
Beim Freitag liegt es dagegen auf der Hand, daß, wenn er ein Unglückstag ist, er es nur deshalb ist, weil Christus nach den übereinstimmenden Angaben der Evangelien an einem Freitag litt und starb.
Man darf annehmen, daß diese Verfehmung des Freitags bei den germanischen und romanischen Völkern des Abendlandes nicht ohne Widerstand zur Geltung kam. Denn der sechste Wochentag war bei ihnen der Göttin der Liebe, der Frau gewidmet, deren Name vom „Freuen“ kommt; er heißt noch heute in der einen Hälfte Europas nach der holden Venus und in der anderen Hälfte nach der jungen schönen fröhlichen Himmelsgöttin Freya. Noch heute wird er daher in gewissen Gegenden, z. B. in Westfalen und in Schottland, gern zum Hochzeitstag, zum Freien, also im ganz eigentlichen Sinne zum „Freitag“ gewählt. Sonst aber hat die Bedeutung des Freitags als eines Verrufenen fast überall in Europa die Oberhand gewonnen. Nicht nur gehört eine Hochzeit an einem Freitag zu den größten Seltenheiten, der Tag ist überhaupt verpönt – an einem Freitag soll man nichts beginnen, namentlich keime Reise unternehmen, nicht abfahren und nicht segeln. „Nicht einmal ein frisches Hemd anziehen,“ setzt der Bauer in Oberösterreich hinzu. Er meint, wenn man an einem Freitag ein frisches Hemd anziehe und es komme zufällig ein Donnerwetter, so könne dieses nicht vorbei.
In der That ist die Ziffer der Eisenbahnreisenden und der abgehenden Dampfschiffe an diesem Tage geringer als an anderen Wochentagen. Der Freitag hat freilich andererseits auch seinen Herold und seinen klassischen Fürsprecher. Kolumbus hat sich an einem Freitag eingeschifft, als er zur Entdeckung des Seewegs nach Ostindien ausfuhr; es war ein Freitag, als er nach einigen sechzig Tagen an der Watlingsinsel landete, eines Freitags endlich kehrte er nach Spanien zurück. Deshalb gilt auch der Freitag in Amerika für einen guten Tag, für einen „lucky Day“, viele der wichtigsten politischen Ereignisse haben seitdem an dem lucky Friday stattgefunden. Die englischen und die deutschen Matrosen aber kennen nur den „unlucky Friday“. Sie kehren sich nicht an den Kolumbus, ihnen ist der Fliegende
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_816.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)