Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843 | |
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Stelle von der Londoner Brücke bis Greenwich, wo ein solcher Bau unternommen werden konnte, ohne eins der großen Verkehrsmittel, die beide Ufer der Themse einnehmen, wesentlich zu beeinträchtigen. Wer London kennt, sieht die Wichtigkeit eines neuen Verbindungsweges an dieser Stelle auf den ersten Blick. Die beiden Ufer liegen blos 1200 Fuß aus einander und doch mußte man einen Umweg von vier engl. Meilen über die Londoner Brücke machen, um zu Lande von einem Punkte zum andern zu kommen. Dies wurde um so lästiger, da beide Ufer in einem wichtigen Verkehr mit einander stehen. Eine ungeheure Masse von den ausländischen Waaren, die nach den westind. Docks (Lagern), den Londoner Lagern und den Katharinalagern an der Nordseite der Themse gebracht werden, verbraucht der Küstenhandel an der Südseite dieses Flusses, und die Zusendung geschieht fast ausschließlich durch Landfuhrwerk. Wie groß die Bequemlichkeit des Tunnels für den Personenverkehr ist, zeigt die Thatsache, daß die Fähren in der Nähe täglich gegen 3700 Personen übersetzten.
Die Actiengesellschaft, welche den Tunnel erbaut hat, bildete sich 1824, und der Bau selbst begann 1825 mit der Aufmauerung eines Kreises aus Ziegelsteinen auf der Seite von Rotherhithe, 150 Fuß vom Wasser. Diese Kreismauer ist 42 Fuß hoch, 3 Fuß dick und hat 50 Fuß im Durchmesser. Ueber ihr brachte Brunel eine Dampfmaschine an, die mit 30 Pferdekraft Erde und Wasser aus der Mitte heraushob, bis die Kreismauer 65 Fuß tief in den Boden eingesenkt war. Dann errichtete Brunel innerhalb der ersten Kreismauer eine zweite, die aber nur 25 Fuß im Durchmesser hatte, und versenkte dieselbe auf gleiche Weise 80 Fuß tief. Sie diente als Senkgrube zur Aufnahme des Wassers, welches mittels der Dampfmaschine aus ihr emporgepumpt wurde.
Der Tunnel selbst beginnt von der ersten Kreismauer aus in einer Tiefe von 63 Fuß. Er erhielt eine Breite von 38 Fuß und eine Höhe von 221/2 Fuß, da er stark ausgemauert werden und den erforderlichen Raum für einen doppelten Bogengang darbieten sollte, von denen jeder 15 Fuß hoch und für einen Fahrweg neben einem Fußpfad breit genug ist. Neujahr 1826 begann die Ausgrabung des Tunnels. Die ersten 9 Fuß gingen durch einen festen Lehmboden; dann kam loser, nasser Sand; am 14. März erreichte man wieder festen Boden und der Bau schritt hierauf jede 24 Stunden ungefähr 2 Fuß vorwärts, wobei 90–100 Tonnen Erde weggeschafft und von der Dampfmaschine über der Kreismauer herausgehoben werden mußten. Für jeden Fuß der Länge waren 5500 Ziegelsteine zum Ausmauern nöthig. Am 30. Juni erreichte der Bau das Flußbett und im September waren 260 Fuß vollendet. Am 2. Januar 1827 waren 350 Fuß fertig, am 2. März war er bis auf 470 Fuß oder fast ein Drittel der ganzen Länge vorgerückt. Obwol der Tunnel sich auf jede 100 Fuß ungefähr 3 Fuß senkt, kam seine Höhlung doch an einer Stelle gegen die Mitte des Flusses dem Grunde des Wassers bis auf 10 Fuß nahe. Bis zum 18. Mai 1827 ging Alles gut, dann aber drang auf einer Entfernung von 544 Fuß von der Kreismauer das Wasser an einer Stelle, wo die Erde locker, mit solcher Schnelligkeit und in solcher Menge durch den Schild in den Tunnel ein, daß dieser sammt der
Kreismauer binnen einer Viertelstunde mit Wasser und etwa 1000 Tonnen Sand und Schutt angefüllt war. Obwol alle Arbeiter auf ihrem Posten gewesen, ging doch kein Leben verloren. Der Riß wurde mittels einer Taucherglocke untersucht und es fand sich, daß das Gewölbe nicht gelitten habe, auch der Schild noch an seinem Platze stehe. Das 38 Fuß tiefe Loch stopfte man durch etwa 3000 mit dünnen Haselruthen umwundene Erdsäcke, pumpte das Wasser aus und begann im September wieder den Fortbau. Den gewaltigen Einbruch frisch im Gedächtniß, wurden die Arbeiter jetzt beständig beunruhigt. Bald vernahm man ein Krachen in den Rahmen, gleich einem Kanonenschuß, weil plötzlich etwas gebrochen war; bald erscholl Lärmruf, weil ein Stück Erde oder Wasser hereinstürzte und Massen von brennbaren Gasarten hervordrangen, sich mit einer Explosion entzündeten und in seltsamer Vermischung mit dem Wasser den ganzen Raum mit Flammen anfüllten. Die Luft wurde dadurch so verdorben, daß die Arbeiter es nicht aushalten konnten und auch die stärksten sehr häufig ohnmächtig herausgetragen werden mußten. Kopfweh, Fieber und Hautausschläge waren allgemein.
: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_01.pdf/6&oldid=- (Version vom 13.3.2020)