Jahre 1874 war gerade einer seiner besten Romane: La Faute de l'abbé Mouret erschienen. Zola hatte seiner Kunstrichtung den Namen Naturalismus gegeben; es war dieselbe Richtung, die bereits Henri Beyle, Honoré de Balzac, Gustave Flaubert eingeschlagen und zur Anerkennung gebracht hatten.
Huysmans hat den Kampf zwischen den als Naturalisten neuerstandenen Realisten und der alten Garde der Romantik, welch letztere oft durch die Sauvegarde des Klassizismus verstärkt wurde, redlich mitgekämpft. Die Wechselfälle des Pariser Lebens brachten ihn in Zola’s Kreis und in Verbindung mit dem Pariser Verleger George Charpentier. Das ist der Grund, warum man ihn, was er auch geschrieben hat, als Naturalisten beurteilt. Das wäre noch kein Anlass, ihm voll Antipathie entgegenzutreten; im Gegenteil, Huysmans hat das Recht zu verlangen, dass man ihm ausserhalb des Zola’schen Kreises und der Neunaturalisten als ursprünglichen Künstler betrachte.
Die Dichtung ist eine göttliche Kunst, deren Aufgabe es ist, das Leben der Menschen zu adeln und sie im täglichen Daseinskampfe zu stützen. Mögen andere Musen und deren Priester und Priesterinnen ebenfalls Schönes schaffen, man wird es gern anerkennen; aber begeistert sollte man immer hinzufügen, dass trotz des immer mehr zunehmenden Niederganges unter Schriftstellern, Dichtern und Kritikern, die Dichtung doch immer und vorzugsweise ein Herzenstrost ist.
Als man Huysmans einst fragte, ob er zu Zola’s Schule und zu den Bekennern der naturalistischen Lehre gehöre, antwortete er:
„Je vous réponds tout simplement que je fais ce que je vois, ce que je vis, ce que je sens, en l’écrivant le moins mal que je puis. Si c’est là le naturalisme, tant mieux. Au fond, il y a des écrivains, qui ont du talent et d’autres qui n’en out pas, qu’ils soient naturalistes, romantiques, décadents, tout ce que vous voudrez, ça m’est égal! Il s’agit pour moi d’avoir du talent, et voilà tout.“[1]
Man glaube durchaus nicht, dass dieses Wort so einfach sei, wie der praktische Beweis des Columbus, dass ein Ei auf der Spitze stehen könne. Talent zu haben ist ja das Alpha und Omega der litterarischen Kunst. Manche glauben zwar, dass kein Schriftsteller Ruhm erwerben könne, wenn er nicht eine bestimmte philosophisch-ästhetische Richtung vertrete; dass man von einem Romanschriftsteller absolut sagen müsse, ob er eine klassische, romantische, realistische, naturalistische, mystische, impressionistische oder nihilistische Überzeugung habe. Besser als all dies ist sicher die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen. Es gibt Leute, die von dem sehr gefährlichen Grundsatz ausgehen, dass Schriftsteller reiferen Alters stets von jüngeren übertroffen werden müssten, dass die jüngeren gewöhnlich die neuen Zukunftsbahnen frei fegen. Besser als jung sein, und solchen Hirngespinnsten nachzuhängen ist die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen.
Huysmans, der Mann mit grossem Talente, beweist dies durch sein Beispiel.
Wir übergehen seine ersten kurzen Skizzen, wie zum Beispiel Le Drageoir aux épices, und erwähnen sein merkwürdiges Buch: Marthe, histoire d’une fille, mit dem er darthat, dass er einst ein bedeutender Schriftsteller sein würde. Über den Inhalt des Buches haben wohl manche
- ↑ Les hommes d’aujourd’hui, von A. Meunier, 6. Band, No. 263. Paris, Vanier, Quai Saint Michel, 19.
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_45.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)