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Titel: Werner von Siemens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 868–869
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[868] Werner von Siemens. (Mit Bildniß.) Zu Anfang der vierziger Jahre saß auf der Citadelle von Magdeburg ein junger preußischer Artillerielieutenant als Gefangener. Er hatte in einem Duell als Sekundant gedient und sollte diese Missethat nach dem Wortlaut der damals geltenden strengen Gesetze wider das Duellieren mit fünf Jahren Festungshaft büßen. In seiner Zelle aber sah es sonderbar aus. Sie glich einem richtigen chemischen Laboratorium, und der junge Offizier hätte können für einen der alten Alchimisten gehalten werden, die man einsperrte, damit man des von ihnen zu gewinnenden Goldes gewiß habhaft werde. Denn er hielt in der Hand einen schönen goldigen Theelöffel, und auf seinem Gesicht lag freudige Erregung.

Der Gefangene hieß Werner Siemens und der goldige Theelöffel vertrat seine erste Erfindung. In der Stille seiner Haft hatte er Versuche mit der galvanischen Vergoldung und Versilberung angestellt, und als ersten Triumph seines Forschens zog er den im reinsten Goldglanz schimmernden, ursprünglich neusilbernen Theelöffel aus der unterschwefligsauren Goldlösung. Und so eifrig war er bei seinen Arbeiten, daß er seine schon nach einem Monat eintreffende Begnadigung geradezu als eine Störung empfand.

Werner v. Siemens †.

Der Artillerieoffizier, der damals die ersten tastenden Schritte auf dem Gebiet der Elektrolyse that, hat nachher die Welt mit den großartigsten Früchten seines Geistes beschenkt. Er gehört zu den Männern, welche die Telegraphie zum leistungsfähigen Verkehrsmittel ausbildeten, und hat, vieler anderer nicht zu gedenken, die erste größere Telegraphenlinie nicht nur in Deutschland, sondern in Europa gebaut, diejenige von Frankfurt nach Berlin. Er hat 1857 das erste gelungene Tiefseekabel von Sardinien nach Bona in Afrika legen helfen und später mit seinen ihm an Genialität und Schaffenskraft fast gleichstehenden Brüdern Wilhelm und Karl bahnbrechend für die transatlantische Kabelverbindung zwischen der Alten und Neuen Welt gewirkt. Als die dänische Flotte im heißen Jahre 1848 Kiel bedrohte, da reifte in ihm die Idee der elektrischen Minenzündung, und sofort stellte er sie sammt seiner Person in den Dienst der vaterländischen Sache. Er ist der Schöpfer der dynamo-elektrischen Maschine, die heute schon in hundertfältiger Verwendung die geheimnißvolle Kraft der Elektricität dem Menschen dienstbar macht. Und in zahllosen anderen großen und kleinen Erfindungen und Entdeckungen hat er, man darf es wohl ohne Einschränkung sagen, als der erste mitgewirkt an dem riesigen Fortschritt, welchen die NaturWissenschaft in ihrer technischen Verwendung während der letzten fünf Jahrzehnte gemacht hat.

Aus dem knapp gestellten Lieutenant, der die für jene erste Erfindung von einem Juwelier gelösten vierzig Louisdors recht gut brauchen konnte, wenn er nicht auf die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Versuche verzichten wollte, ist aber auch einer der reichsten Männer geworden, dem die irdischen Schätze in Fülle zu Gebote standen, den die Großen der Erde mit Orden und Auszeichnungen überhäuften, den gelehrte Körperschaften von höchstem Range zu ihrem Mitglied beriefen und den die erste Universität des Reiches schon vor zweiunddreißig Jahren zum Doktor honoris causa ernannte. Aus der kleinen Werkstatt, die Siemens 1847 zusammen mit seinem langjährigen treuen Gefährten Halske mit Hilfe eines geliehenen Kapitals in der Schöneberger Straße zu Berlin anlegte, ist ein Welthaus erwachsen, das neben dem Hauptgeschäft in Berlin Zweiganstalten in Charlottenburg, Petersburg, Wien und Tiflis unterhält und aus dem auch das jetzt selbständige Londoner Haus hervorgegangen ist.

Siemens war ein Mann aus eigener Kraft, eine Charakterfigur in unserem Zeitalter, wie wir sie uns bezeichnender und zugleich wohlthuender nicht denken können. Er freute sich dessen, daß es ihm gelungen war, seine günstige Lebensgestaltnng der eigenen Arbeit zu verdanken. Aber er war doch zu klug und zu bescheiden, um die glücklichen Umstände zu übersehen, welche zu seiner Förderung beitrugen. Er rechnete dahin schon seine Aufnahme in die preußische Armee und in den Staat des Großen Friedrich; noch mehr aber das glückliche Zusammentreffen, daß sein Leben gerade in die Zeit der schnellen Entwicklung der Naturwissenschaften fiel und daß er sich „besonders der elektrischen Technik schon zuwandte, als sie noch ganz unentwickelt war und daher [869] einen sehr fruchtbaren Boden für Erfindungen und Verbesserungen bildete“. Und noch etwas war es, was Werner Siemens stützend und hebend zur Seite stand: seine Brüder! Wie glücklich und anregend das Verhältniß insbesondere zwischen Werner, Wilhelm und Karl war, das bildet einen der schönsten Züge in den „Lebenserinnerungen“, die Werner während der letzten Jahre in der Stille seines Sommersitzes zu Harzburg aufgezeichnet hat.

Werner Siemens stammt aus einer sehr kinderreichen Familie. Schon sein Vater war der jüngste von fünfzehn Sprößlingen, und aus seiner Ehe mit Eleonore Deichmann gingen zehn Kinder hervor, von denen Werner der älteste, am 13. Dezember 1816 geborene Sohn war. Den Elterb ging es nicht gut mit ihrer Landwirthschaft, die sie erst zu Lenthe bei Hannover, dann zu Menzendorf in dem zu Mecklenburg-Strelitz gehörigen Fürstenthum Ratzeburg betrieben. Strapazen, Kummer und Sorgen rieben erst der heißgeliebten Mutter Kräfte auf. Sie starb im Juli 1839, und als ihr der Vater ein halbes Jahr darauf nachfolgte, da sah sich Werner vor die Aufgabe gestellt, im wesentlichen die Sorge für seine jüngeren Brüder zu übernehmen. Und er that dies mit der ganzen zielbewußten Thatkraft seines Wesens; diese Sorge ist ihm zum mächtigen Sporn geworden und sie hat ihm wiederum das Glüeksgefühl einer treu erfüllten Pfticht bereitet. Diese Sorge war auch der stärkste Grund, der ihn im Jahre 1849 zum Abschied aus dem von ihm hochgeschätzten Militärdienst veranlaßte. Er mußte Geld verdienen. In vierzehn Jahren hatte er es „eben über die Hälfte des Sekondelieutenants“ gebracht; er wurde mit dem Charakter eines Premierlieutenants verabschiedet. Im Laufe der Zeit sind fast alle Brüder in den großartigen Unternehmungen Werners zur Thätigkeit gekommen oder durch ihn zu selbständigen Stellungen gelangt.

Siemens war ein deutscher Patriot von edelster Gesinnung. Wie ihn einst die Schmach des zerrissenen Vaterlands, wie ihn insbesondere die Schmach Preußens im Jahre 1850 tief verdroß, so hat ihm auch der neue Glanz des geeinigten Vaterlandes in der Seele wohlgethan. Er giebt seinen Empfindungen einmal in seinen „Lebenserinnerungen“ einen sehr kräftigen Ausdruck. Siemens befand sich in Spanien, als 1864 die preußische Kriegserklärung an Dänemark erfolgte. Darob große Wuth in den englischen und französischen Zeitungen über die „eroberungssüchtigen“, „kriegslustigen“, ja „blutdurstigen“ Deutschen. „Ich muß gestehen,“ sagt er, „daß mir dies keinen Verdruß, sondern große Freude bereitete. Meine Selbstachtung als Deutscher stieg bei jedem dieser Ausdrücke bedeutend.“ Der Ehre der deutschen Industrie im In- und Ausland galt der wesentlichste Theil seiner politischen Thätigkeit – er war der Leiter der Bewegung für ein deutsches Patentgesetz und jahrelang Mitglied des Patentamtes. Der Ehre der deutschen Industrie suchte er vor allem selbst durch tadellose Fabrikate zu dienen. Und auch wo ihm selbst Vortheille zuflossen, kam seine Arbeit dem Gemeinwohl zu gut.

Er war zweimal verheirathet, das erste Mal mit Mathilde, der Tochter des Königsberger Geschichtsprofessors Drumann, die ihm nach dreizehnjähriger glücklicher Gemeinschaft im Jahre 1865 entrissen wurde. Zwei Söhne und zwei Töchter entstammen dieser Ehe. Im Jahre 1869 führte er Antonie Siemens, eine entfernte Verwandte, als zweite Gattin heim, und unter den aufsteigenden Wetterwolken des großen Kriegs wurde ihm eine Tochter geboren, der später noch ein Sohn folgte.

Mit Frau und jüngster Tochter hatte Werner im Winter 1891 bis 1892 den Süden aufgesucht, um sich von einem Influenzaanfall zu erholen. Anfang Mai kehrte er in die Heimath zurück, und nachdem er noch zweimal heftige Fieberanfälle überwunden hatte, hielt er selbst die „Krankheitsperiode seines Alters“ für beendet und hoffte, daß ihm noch ein ruhiger und heiterer Lebensabend beschieden sein werde. Es ist anders gekommen. Noch beendete er seine schönen „Lebenserinnerungen“, die, mit dem von uns verkleinert wiedergegebenen Bildniß geschmückt, in seinen letzten Lebenstagen bei J. Springer in Berlin erschienen sind, da aber trat ihn ein neuer Anfall der Influenza und eine rasch verlaufende Lungenentzündung an, der er am 6. Dezember, nicht ganz 76 Jahre alt, erlegen ist. Und wehmüthig prophetisch klingen heute die Worte, mit denen er seine Erinnerungen schloß: „Mein Leben war schön, weil es wesentlich erfolgreiche Mühe und nützliche Arbeit war, und wenn ich schließlich der Trauer darüber Ausdruck gebe, daß es seinem Ende entgegengeht, so bewegt mich dazu der Schmerz, daß ich von meinen Lieben scheiden muß und daß es mir nicht vergönnt ist, an der vollen Entwicklung des naturwissenschaftlichen Zeitalters erfolgreich weiter zu arbeiten.“

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