Arctic Sea war der Name eines unter der Flagge Maltas fahrenden Frachtschiffs. Bekannt wurde es durch unvollständig geklärte Ereignisse im Sommer 2009, in deren Verlauf das Schiff in der Ostsee von maskierten Männern geentert wurde, anschließend verschwand und auf Höhe der Kapverden von der russischen Marine aufgebracht und befreit wurde.

Arctic Sea
Als Baby Leen (hier in Ploče, Kroatien)
Als Baby Leen (hier in Ploče, Kroatien)
Schiffsdaten
Flagge Malta Malta
andere Schiffsnamen

Baby Leen (2018–2021)
LTW Express (2015–2018)
Shelley Express (2011–2015)
Jogaila (2000–2005)
Torm Senegal (1998–2000)
Alrai (1998)
Zim Venezuela (1996–1998)
Okhotskoe (1991–1996)

Schiffstyp Mehrzweckfrachtschiff
Rufzeichen 9HDN8
Heimathafen Valletta
Eigner Arctic Sea Ltd.
Bauwerft Sedef-Werft, Gebze/Istanbul, Türkei
Baunummer 84
Indienststellung 1991
Verbleib 2021 Abbruch in Alang
Schiffsmaße und Besatzung
Länge 97,80 m (Lüa)
90,50 m (Lpp)
Breite 17,34 m
Seitenhöhe 7,00 m
Tiefgang (max.) 6,01 m
Vermessung 3988 BRZ / 1618 NRZ[1]
Maschinenanlage
Maschine 1 × MAN-B&W-Dieselmotor
Maschinen­leistungVorlage:Infobox Schiff/Wartung/Leistungsformat 3.360 kW (4.568 PS)
Höchst­geschwindigkeit 13,2 kn (24 km/h)
Propeller 1 × Verstellpropeller
Transportkapazitäten
Tragfähigkeit 4706 tdw
Container 224 TEU
Anschlüsse Kühlcontainer 21
Rauminhalt 5242 m³
Sonstiges
Klassifizierungen Russian Maritime Register of Shipping
IMO-Nummer 8912792

Allgemeines

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Für die Arctic Sea war als Eigner das Unternehmen Arctic Sea Ltd. auf Malta eingetragen. Das Schiffsmanagement erfolgte durch die Solchart Management in Helsinki, Finnland, das ISM-Management lag in den Händen von Solchart Arkhangelsk in Archangelsk, Russland.[2] Die Arctic Sea wurde hauptsächlich für den Transport von Holz aus Finnland eingesetzt.

Geschichte

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Gebaut wurde das Schiff 1991 als Ochotskoje (russisch Охотское, wiss. Transliteration Ochotskoe) auf der Sedef-Werft in Gebze/Istanbul.

Vorfälle im Sommer 2009

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Am 22. Juli 2009 gegen 00:30 UTC lief das Schiff aus dem finnischen Hafen Jakobstad aus. Es war nach offiziellen Angaben mit 6700 m³ Schnittholz des schwedisch-finnischen Forstunternehmens Stora Enso im Wert von rund 1,3 Mio. Euro[3] für Bejaia in Algerien beladen. In Bejaia sollte das Schiff am 2. August um 12:00 UTC ankommen, was aber nicht geschah. Die Umstände des Verschwindens führten zu Spekulationen über die Richtigkeit der Angaben zur Ladung.[4]

Vor der Fahrt in Richtung Bejaia hatte das Schiff ab dem 24. Juni für Überholungsarbeiten in Kaliningrad gelegen und den Hafen in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli mit Ziel Jakobstad verlassen, wo es am 20. Juli gegen 11:00 UTC ankam.

Am 31. Juli wurde bekannt, dass das Schiff am frühen Morgen des 24. Juli zwischen Öland und Gotland von acht maskierten Männern (z. T. wurde auch von zehn oder bis zu zwölf Personen berichtet),[5][6] die sich als Drogenfahnder der schwedischen Polizei ausgaben, mit Hilfe eines Schlauchbootes gestoppt und geentert worden sei. Die aus 15 Personen bestehende russische Besatzung soll gefangen genommen und das Schiff anschließend durchsucht worden sein. Verschiedenen Pressemitteilungen zufolge verließen die Männer nach gut zwölf Stunden das Schiff wieder, das daraufhin seine Reise fortsetzte.[7]

Am 28. Juli meldete sich das Schiff für die Durchfahrt durch den Ärmelkanal über Funk bei den britischen Behörden in Dover. Zuletzt wurde am 29. Juli um 19:06 UTC das AIS-Signal des Schiffes von einer Landstation empfangen, als die Arctic Sea nördlich der französischen Küste auf der Höhe von Brest mit 7,7 kn in Richtung WSW fuhr.[6] Als geplante Ankunftszeit für Bejaia wurde jetzt der 4. August 2009 um 23:00 UTC gesendet. Seitdem fehlte nach offiziellen Angaben von dem Schiff jede Spur; widersprüchliche Meldungen über angebliche Sichtungen des Schiffes sorgten in den nächsten Tagen für weitere Verwirrung.[8] Die russische Marine stellte vier Kriegsschiffe der Schwarzmeerflotte, und zwar drei Landungsschiffe des Projekts 775 und die Fregatte Ladny, zur Suche nach der Arctic Sea ab, die zusätzlich von zwei Atom-U-Booten unterstützt wurden.

 
Route der Arctic Sea

Am 15. August wurde gemeldet, die Reederei habe eine Lösegeldforderung für das Schiff erhalten.[9] Am 17. August gab der russische Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow bekannt, dass das Schiff 480 km von den Kapverden entfernt von der russischen Marine aufgebracht worden sei, die Besatzung habe gerettet werden können und die Piraten seien ohne Gegenwehr festgenommen worden.[10][11] Nach der gelungenen Befreiungsaktion räumte der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin ein, dass den Behörden der Aufenthaltsort der Arctic Sea seit Tagen bekannt gewesen sei. Man habe die Öffentlichkeit aber bewusst irregeführt, um die Militäraktion zur Befreiung der Besatzung nicht zu gefährden.[12] An der Befreiungsaktion wirkten Vertreter aus zwanzig Staaten mit.[11]

In den Tagen danach wurden in den Medien weitere Unstimmigkeiten in der offiziellen Version gemeldet. Analysen aus mehreren Staaten kamen zu dem Schluss, dass das Schiff für eine Holzladung zu tief im Wasser lag. Es wurde der Verdacht geäußert, dass die Holzlieferung Tarnung für eine Waffenlieferung sei. Die Mutmaßungen gingen so weit, dass von Marschflugkörpern vom Typ Ch-55 und Luftabwehrraketen vom Typ S-300 gesprochen wurde.[13][14] Als mögliche Empfänger wurden Iran[15] oder die Palästinenserorganisation Hamas genannt.

Die Piraten wurden nach Russland (Militärflugplatz Tschkalowski) gebracht und angeklagt. Mindestens einer der Angeklagten wurde verurteilt.[16] Der Großteil der Besatzung wurde zum Verhör durch Geheimdienste ausgeflogen und zwei Wochen lang fast ohne Kontakte nach außen festgehalten. Der Kapitän und die restliche Besatzung blieben auf der Arctic Sea, die von der russischen Marine in den Schwarzmeerhafen Noworossijsk geschleppt werden sollte.

Es besteht der Verdacht, dass die Besatzung zumindest teilweise mit den Piraten kooperiert hatte. Die mutmaßlichen Piraten selbst gaben sich als Naturschützer aus dem Baltikum aus. Sie seien von der Arctic Sea aus Seenot gerettet worden. Während der Reise habe sich keine Gelegenheit geboten, von Bord des Schiffes zu gehen. Mehrfach wurde der israelische Geheimdienst als Auftraggeber der Entführung genannt.[17][18] Andere Quellen sahen den russischen Geheimdienst FSB als Initiator.[19] Die mutmaßlichen Piraten waren überwiegend Russen.[11][20][21]

Rund drei Wochen nachdem bekannt geworden war, dass die Arctic Sea von der russischen Marine nach Noworossijsk geschleppt werden solle, wurde über den Abschluss der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses bei der russischen Staatsanwaltschaft mit dem Ergebnis berichtet, dass sich lediglich Schnittholz an Bord befunden habe. Das Schiff sollte nun an die maltesischen Behörden bzw. den Schiffseigner übergeben werden und dafür den kanarischen Hafen Las Palmas anlaufen.[22][23][24] Nach späteren Berichten wurde der Antrag des Schiffs auf Aufenthalt im Hafen wegen angeblicher Waffen an Bord[25] bzw. fehlendem Handelsschiffsstatus abgelehnt.[26]

Am 31. Oktober tauchte das Schiff in Valletta auf Malta wieder auf.

Die Arctic Sea wurde 2010 für 1,8 Millionen Euro an das kanadische Unternehmen Great Lakes Feeder Lines[27] verkauft und unter die Flagge von Barbados gebracht.[28] Das Schiff wurde von Great Lakes Feeder Lines für den Gütertransport zwischen den USA und Kanada eingesetzt.[27] Ende Oktober 2011 erwarb das Unternehmen Amber Express Cargo, das von PMAC Marine aus Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten vertreten wurde, das Schiff und benannte es im November 2011 in Shelley Express um. Später kam das Schiff als LTW Express zunächst unter die Flagge Panamas und später unter die Tansanias. Ab Sommer 2018 fuhr das Schiff als Baby Leen unter panamaischer Flagge. Am 10. März 2021 wurde das Schiff im indischen Alang zum Abbruch gestrandet.

Technische Daten und Ausstattung

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Als Antrieb des Schiffes diente ein MAN-B&W-Dieselmotor (Typ: 6L35MC) mit 3360 kW Leistung, der auf einen Verstellpropeller wirkte. Das Schiff erreichte eine Geschwindigkeit von rund 13 kn. Es war mit einem Bugstrahlruder ausgerüstet. Für die Stromerzeugung standen drei Generatoren zur Verfügung, zwei davon wurden mit 264 kW Leistung und einer mit 300 kW Leistung angetrieben.[1]

Das Schiff verfügte über zwei boxenförmige Laderäume. Raum 1 war 25,88 Meter lang, 12,49 Meter breit und 8,17 Meter hoch. Er verjüngte sich im vorderen Teil. Raum 2 war 25,22 Meter lang, 12,49 Meter breit und 8,17 Meter hoch. Die Kapazität der Räume betrug 5.242 m³ für Schüttgüter bzw. 5.100 m³ für Stückgüter. Die Räume waren mit hydraulisch betriebenen Faltlukendeckeln verschlossen. Die Tankdecke konnte mit 8,5 t/m², die Lukendeckel mit 1,75 t/m² belastet werden.[28]

Das Schiff war mit zwei auf der Backbordseite angebrachten Kranen ausgerüstet, die jeweils 25 t oder kombiniert 45 t heben konnten.[1][28]

Das Schiff konnte Container laden. Die Containerkapazität betrug 224 TEU.[1] Von Great Lakes Feeder Lines wurde die Kapazität mit 270 TEU angegeben. 114 TEU fanden in den Laderäumen, 156 TEU an Deck Platz. Bei homogener Beladung mit 14 Tonnen schweren Containern konnten 203 TEU geladen werden. Das Maximalgewicht eines Stapels mit 20-Fuß-Containern konnte im Raum 75 t sowie an Deck 45 t betragen, das eines Stapels mit 40-Fuß-Containern konnte im Raum 100 t sowie an Deck 60 t betragen. Für Kühlcontainer waren 21 Anschlüsse vorhanden.[28]

Die Decksaufbauten befanden sich im hinteren Bereich des Schiffes. Hinter dem Deckshaus war ein Freifallrettungsboot installiert.

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Commons: IMO 8912792 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d General Information (Memento vom 20. August 2009 im Internet Archive), Russian Maritime Register of Shipping
  2. Schiffssicherheitsdatenseite Equasis, abgerufen 13. August 2009.
  3. Tommi Nieminen: Where are you, Arctic Sea? (Memento vom 14. August 2009 im Internet Archive) Helsingin Sanomat.
  4. Gerüchte über radioaktive Fracht. ORF.at, 17. August 2009.
  5. Where are you, Arctic Sea? Helsingin Sanomat (engl.)
  6. a b Reeder vermutet Entführung der „Arctic Sea“. Spiegel Online, 13. August 2009.
  7. Frachter auf Ostsee von Piraten überfallen. In: Spiegel Online, 31. Juli 2009.
  8. Russlands Marine jagt Geisterschiff. (Memento vom 19. August 2009 im Internet Archive) In: Financial Times Deutschland, 17. August 2009 (aufgerufen 18. August 2009).
  9. Lösegeld-Forderung für „Arctic Sea“ (Memento vom 16. August 2009 im Internet Archive), Tagesschau.de, 15. August 2009.
  10. Russia 'finds missing cargo ship'. In: BBC News. 17. August 2009, abgerufen am 17. August 2009.
  11. a b c Waffenschmuggel-Verdacht: Geheimdienst lässt Seeleute der „Arctic Sea“ frei. In: Spiegel Online vom 30. August 2009.
  12. „Arctic Sea“: Öffentlichkeit wurde gezielt irregeführt. In: Die Presse, 18. August 2009 (aufgerufen am 18. August 2009).
  13. Netanjahu in Moskau. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. September 2009.
  14. Hans-Christian Rößler, Reinhard Veser: Sollte die „Arctic Sea“ Raketen an Iran liefern?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. September 2009. Abgerufen am 4. September 2018.
  15. Chris Irvine: Arctic Sea ghost ship 'was carrying weapons to Iran', The Telegraph, 6. September 2009. Abgerufen am 4. September 2018.
  16. Lagerhaft für Kaperer der „Arctic Sea“ (Memento vom 10. Mai 2010 im Internet Archive) Tagesschau, 7. Mai 2010.
  17. Siehe spanische Zeitung Artikel El caso del 'Arctic Sea' se enturbia. In: El País, 4. September 2009: Hace dos días, Yediot Ajronot, el periódico de mayor difusión en Israel, daba en portada la noticia de que „piratas enviados por Mosad se apoderaron en alta mar del Arctic Sea“
  18. Roland Oliphant: Hidden in Plain View (Memento vom 2. September 2009 im Internet Archive), Russia Profile, 27. August 2009.
  19. Die Raketenschmuggler auf der „Arctic Sea“. (Memento vom 24. September 2009 im Webarchiv archive.today) In: Salzburger Nachrichten, 4. September 2009.
  20. Die Arctic Sea hatte nicht nur Holz an Bord. (Memento vom 30. August 2009 im Internet Archive), Basler Zeitung, 26. August 2009.
  21. Stefan Scholl: Arctic Sea – Wie eine Geschichte von Gogol (Memento vom 2. September 2009 im Internet Archive), Basler Zeitung, 29. August 2009.
  22. Verwirrspiel um „Arctic Sea“: Frachter darf Kanaren anlaufen, Sputnik Deutschland, 15. September 2009. Abgerufen am 4. September 2018.
  23. Arctic Sea dümpelt noch immer vor den Kanaren. 17. September 2009, abgerufen am 23. September 2009.
  24. Nach Irrfahrt der Arctic Sea: Keine Fremdware an Bord (Memento vom 3. September 2018 im Internet Archive), Sputnik Deutschland, 19. September 2009. Abgerufen am 4. September 2018.
  25. Arctic Sea darf den Hafen von Las Palmas nicht anlaufen. Meldung der Spanienmagazins Comprendes, 21. September 2009, abgerufen am 23. September 2009.
  26. Not a ship (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), News Solchart, 24. September 2009 (englisch).
  27. a b Great Lakes Feeder Lines adds second ship, Canadian Shipper, 4. Mai 2010. Abgerufen am 10. Oktober 2022.
  28. a b c d MV Arctic Sea: ship specifications, Great Lakes Feeder Lines (PDF; 1 MB). Abgerufen am 4. September 2018.
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