Siedlungskolonie

Form der Kolonisation durch europäische Kolonialreiche

Siedlungskolonien oder Siedlerkolonien waren eine Form der Kolonisation, die sich zur Zeit der europäischen Kolonialreiche herausbildete. Hierbei war der europäische Rassismus der Neuzeit die Motivation der Siedler. Georges Balandier bestimmte die für den Siedlerkolonialismus grundlegende koloniale Situation die von einer „fremden, rassisch (oder ethnisch) und kulturell andersartigen Minderheit im Namen einer dogmatisch behaupteten rassischen (oder ethnischen) und kulturellen Überlegenheit einer materiell unterlegenen eingeborenen Mehrheit aufgezwungene Herrschaft.“ Man unterschied zunehmend zwischen Siedlungskolonien und übrigen Kolonien (zum Beispiel Beherrschungs- und Stützpunktkolonie). Die Typen werden aber heute nicht mehr als ausschließend betrachtet, sondern können sich aus einem Typ in einen anderen entwickeln.[2]

Siedlungskolonien für Europäer um 1914 (ohne unabhängige Einwanderungsländer in Übersee)[1]

Geschichte

Bearbeiten
 
Manifest DestinyColumbia, die Nationalallegorie der Vereinigten Staaten, auf ihrem Kopf das Licht „Stern des Imperiums“, führt die Siedler gen Westen, die Indianer und wilde Tiere vertreiben. Das Licht wurde mit Gott assoziiert, die Metapher diente zur Rechtfertigung des „göttlichen Auftrags“ der US-Amerikaner zum Expansionismus und Exzeptionalismus

Der Siedlerkolonialismus ist vor allem ein Phänomen der globalen europäischen Expansion in der Neuzeit. Wie stark die Vorbevölkerung dabei verdrängt wurde, hängt nicht zuletzt von der Dauer der Kolonialherrschaft und der anschließenden Einwandererstaaten (nicht zu verwechseln mit dem Begriff Einwanderungsland) ab. Zahlreiche ehemalige Siedlungskolonien sind heutzutage Staaten mit mehrheitlich europäischstämmigem Staatsvolk außerhalb Europas wie die USA, Kanada, Hawaii, Neuseeland, Australien, Uruguay, Chile und Argentinien. In anderen wie Algerien blieb die Vorbevölkerung in der Mehrheit und ist heute Staatsvolk. Religiöse und ethnische Minderheiten wanderten ebenfalls in bestehende Siedlerkolonien aus und bildeten dort eine Diaspora wie die Juden, Armenier und Iraner in den Vereinigten Staaten, andere siedelten aufgrund Abkommen zur Sendung ausländischer Arbeitskräfte, wie die chinesischen Kulis oder Inder in Südafrika.

Die übrigen Kolonien wurden aus machtpolitischen Gründen erworben. Ihre Wirtschaft wurde ohne wesentliche oder mit nur geringer Einwanderung nach den Interessen des Mutterlandes ausgerichtet. Im Unterschied zu Siedlungskolonien, die oft in gemäßigtem Klima der Nord- oder Südhalbkugel lagen, waren diese Kolonien oft tropisch bzw. äquatornah (z. B. Plantagenkolonien).[1]

In einigen karibischen Ländern wurde die Vorbevölkerung zahlenmäßig weniger durch die Kolonisatoren selbst, als vielmehr durch die von ihnen aus Afrika importierten Sklaven verdrängt.

Die Entkolonisierung stellte eine existenzielle Bedrohung für die weißen Siedlerminderheiten dar, in Afrika kämpften nationale Befreiungsbewegungen in Guerillakriegen gegen die Kolonialmacht und ihre Siedler. Nach der Unabhängigkeit verließen die meisten europäischen Siedler und ihre Nachkommen die ehemaligen Kolonien, weil sie ihre privilegierte Stellung verloren und zum Teil die Vergeltung der nun herrschenden Mehrheitsbevölkerung fürchteten.[3]

Forschung

Bearbeiten

Das Paradigma des Siedlungskolonialismus ist seit 2010 u. a. mit der Fachzeitschrift Settler Colonial Studies »disziplinär und institutionell fest in der Wissenschaftslandschaft verankert«, schreiben Jürgen Mackert und Ilan Pappe.[4]

Beispiele

Bearbeiten
  • Siedlungskolonien Großbritanniens:
    • Nordirland,[8] siehe auch Ulster Plantation
    • die späteren USA, zunächst v. a. die 13 Kolonien an der Ostküste (insbesondere Neuengland)[2][9]
    • Kanada
    • Australien
    • Neuseeland
    • Auch in einigen süd- und ostafrikanischen Kolonien – nicht aber in Westafrika – ließen sich ebenfalls britische Siedler nieder, stellten und stellen dort gegenüber der autochthonen afrikanischen Bevölkerung jedoch stets eine zwar vermögende und einflussreiche, aber zahlenmäßig sehr kleine Minderheit dar, so in Kenia und Rhodesien (heute Simbabwe). Einen Sonderfall stellt die Kapkolonie[2] bzw. ganz Südafrika dar, wo britische Siedler sich zwar in größerer Zahl niederließen, aber sowohl gegenüber den Afrikanern als auch gegenüber den niederländischstämmigen Siedlern, den Buren, immer in der Minderheit blieben.
    • Im Fall von (Süd-)Rhodesien widersetzte sich die Siedlerminderheit der bevorstehenden Entkolonisierung und sagte sich 1965 von der britischen Kolonialmacht los. Sie gründeten eine auf weißer Minderheitsherrschaft beruhende Republik, die ohne internationale Anerkennung bis 1979 bestand.[3]

Gegen Ende ihrer Herrschaft versuchten die Qing, Xinjiang, Tibet und andere Teile des kaiserlichen Grenzgebiets zu kolonisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, begannen sie eine Politik des Siedlerkolonialismus, bei der Han-Chinesen an die Grenze umgesiedelt wurden.[10] Diese Politik wurde von der Volksrepublik China unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas erneuert.[11][12]

Literatur

Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Hermann Kinder, Werner Hilgemann: dtv-Atlas Weltgeschichte. Band 2: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, 5. Auflage. dtv, München 1970, S. 98.
  2. a b c d Bernd-Stefan Grewe und Thomas Lange: Kompaktwissen Geschichte. Kolonialismus. Reclam, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-15-017082-3, S. 12f.
  3. a b c d Christoph Marx: Siedlerkolonien. In: Europäische Geschichte Online, Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2015.
  4. Mackert/Pappe 2024 S. 9.
  5. Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56248-8, S. 29.
  6. Jan C. Jansen, Jürgen Osterhammel: Dekolonisation. Das Ende der Imperien. C.H.Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65464-0, S. 69 f.
  7. Konrad Schliephake: Demographie und Arbeitsmarkt im Rentier–Staat, in: Fritz Edlinger (Hrsg.): Libyen. Wien 2011, ISBN 978-3-85371-330-3, S. 33
  8. bbc.co.uk
  9. Horst Dippel: Geschichte der USA. 10. Auflage, C.H.Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-60166-8, S. 8.
  10. Wang, Ju-Han Zoe; Roche, Gerald (16 März 2021). "Urbanizing Minority Minzu in the PRC: Insights from the Literature on Settler Colonialism". Modern China. 48 (3): Seiten 593–616. doi:10.1177/0097700421995135. ISSN 0097-7004. S2CID 233620981.
  11. Brooks, Jonathan (2021), Settler Colonialism, Primitive Accumulation, and Biopolitics in Xinjiang, China, doi:10.2139/ssrn.3965577, ISSN 1556-5068, SSRN 39655
  12. Clarke, Michael (16 February 2021). "Settler Colonialism and the Path toward Cultural Genocide in Xinjiang". Global Responsibility to Protect. 13 (1): Seiten 9–19. doi:10.1163/1875-984X-13010002. ISSN 1875-9858. S2CID 23397439
  13. Areej Sabbagh-Khoury: “Tracing Settler Colonialism: A Genealogy of a Paradigm in the Sociology of Knowledge Production in Israel.” Politics & Society 50.1:44–83 (2022), doi:10.1177/0032329221999906; What is at Stake in the Study of Settler Colonialism? In: Developing Economics. 26. Oktober 2020, abgerufen am 26. April 2022 (englisch).; Gershon Shafir: Land, Labor and the Origins of the Israeli-Palestinian Conflict, 1882–1914. New York: Cambridge University Press, 1989.
  14. Professor Ilan Pappé-Crisis in Zionism, Opportunity for Palestine? In: Berkeley Law, UC Berkeley Campus. 19. Oktober 2023, abgerufen am 13. November 2023.
  15. Petra Wild: Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat. Promedia-Verlag, 2. Auflage, Wien 2013, ISBN 978-3-85371-355-6.
  16. https://www.mena-watch.com/israel-ist-kein-siedlerkolonialistisches-projekt/
  17. https://taz.de/Historiker-ueber-Israels-Zukunft/!5993204/
  18. https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/plus248173968/Historiker-Simon-Sebag-Montefiore-Israelis-sind-weder-weiss-noch-kolonialistisch.html,
  19. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/geschichte-israels-historiker-ueber-zionismus-und-staats-gruendung-19301417.html
  20. Tim Stosberg: “Once Victims Themselves”. Edward Saids Orientalismus als Wegbereiter des postkolonialen Antisemitismus. In: Andreas Stahl et al. (Hrsg.): Probleme des Antirassismus. Postkoloniale Studien, Critical Whiteness und Intersektionalitätsforschung in der Kritik. Tiamat, Berlin 2022, ISBN 978-3-89320-296-6, S. 552–577
  NODES
INTERN 1