Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Richterkollegium für Anklagen auf Tötung in Athen
Band V,2 (1905) S. 28242826
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Ephetai (ἐφέται), das athenische Richterkollegium für Anklagen auf Tötung.

Etymologie und Bedeutung des Worts. Die von den Alten versuchte Ableitung von ἐφίεσθαι = Berufung einlegen entbehrt eines sachlichen Grundes. Man hat auszugehen von dem kaum zu bezweifelnden Zusammenhang mit ἐφετμή und von der sonstigen Bedeutung des Worts, für die freilich nur eine Stelle, Aisch. Pers. 79, anzuführen ist; hier ist die Bedeutung ,Befehlshaber‘ unbestritten, vgl. v. Wilamowitz Philol. Untersuchungen I 90, 5. Danach ist . = ὅστις ἐφίησι, zunächst nicht mit Beziehung auf richterliche Tätigkeit; bestimmter auf das Richteramt bezieht sich die Erklärung Schömanns Opusc. ac. I 196 quod cognita causa ἐφίεσαν vel ἐφίεντο, h. e. praecipiebant quod de reo faciendum esset, dem sich Meyer-Lipsius Att. Prozeß 18. Gilbert Gr. Staatsaltert.2 I 137, 1 anschließen. Kritik der Etymologien bei L. Lange De ephetarum Atheniensium nomine commentatio, Progr. Leipzig 1873 (er selbst erklärt = οἱ ἐπὶ ταῖς ἔταις ὄντες; ἔται = cives optimo iure, also . = praefecti gentium Eupotridarum; von dieser Bedeutung aus soll das Wort auch bei Aisch. a. a. O. verstanden werden) u. Busolt Gr. Gesch.2 II 234, 1.

Zahl. Es waren 51 Richter; die Zahl ist durch die Inschrift IG I 61 = Dittenberger Syll.2 52 Z. 19 gesichert. Den früheren Vermutungen über die Zahl der E. und ihren Zusammenhang mit dem Areopag (s. insbesondere L. Lange Abh. Sachs. Ges. d. W. VII 199ff.) steht Arist. Ἀθ. π. 3, 6 gegenüber, wonach der Areopag schon vor Drakon aus gewesenen Archonten zusammengesetzt war. Eine befriedigende Erklärung der Zahl ist bis jetzt nicht gefunden. Busolt [2825] nimmt an, daß sie zusammenhänge mit den drei Gerichtshöfen, an denen die E. wahrscheinlich zu richten hatten (Gr. Staatsaltert.2 143) – jedoch richten die E. nach der Inschrift immer alle zusammen – oder mit den drei Ständen, Gr. Gesch.2 II 179, 1. Irrtümlich wird statt 51 die Zahl 50 angegeben Tim. lex. Plat. s. v. Schol. Dem. XXIII 37.

Bedingung zu Wahl war ein Alter von über 50 Jahren und ein einwandfreies Vorleben, Etym. M. Phot. Suid. s. v. Bekker Anecd. I 188, 30. Daß Zugehörigkeit zu den Eupatriden erforderlich gewesen, wäre aus Poll. VIII 125 zu entnehmen, wenn nicht wahrscheinlich hier ein Mißverständnis vorläge, s. u. Sonst ist über die Art der Bestellung (Wahl, Losung?) nichts bekannt.

Tätigkeit. Vor die E. kamen die Klagen wegen unvorsätzlicher Tötung, Ermordung eines Sklaven oder Metoeken, Anstiftung zum Mord (letztere Klage erst im 4. Jhdt.? so Gilbert Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 524ff.) – Gerichtsstätte war für diese Fälle das Palladion –; wegen erlaubter Tötung – Gerichtsstätte das Delphinion – die Klagen auf Tötung gegen einen Verbannten – Gerichtsstätte die Phreattys. Über das einzelne s. bei den genannten Gerichtsstätten, sowie Art. Drakon Nr. 8, o. S. 1649ff.; über das Verfahren vgl. Art. Basileus Bd. III S. 75ff.

Geschichte. Einsetzung. Aus den Mythen, die zur Erklärung der Namen der Gerichtsstätten ersonnen sind, läßt sich nichts entnehmen, Gilbert a. a. O. 497f. Nach Tim. lex. Plat. 127. Poll. VIII 125 sind die E. von Drakon eingesetzt worden. Dieses Zeugnis ist entkräftet worden von Philippi Der Areopag und die E. (1874) 138ff.; es ist zum mindesten sehr wahrscheinlich, daß die Angabe des Pollux aus der mißverstandenen falschen Lesart bei Demosth. XLIII 57 (τούτοις – für τούτουςδ' οἱ πεντήκοντα καὶ εἷς ἀριστίνδην αἱρείσθων, vgl. Dittenberger Syll.2 52, 19). Die Angabe des Timaeus kann aus derselben Quelle stammen, umsomehr als Pollux den Demosthenes wahrscheinlich nicht unmittelbar benützt hat; die ungenaue Zahlangabe ist kein Beweis dagegen, vgl. Lange a. a. O. 190. Diese ganze Beweisführung wird von Gilbert angefochten, a. a. O. 493ff., s. darüber oben S. 1652. Wer Gilbert nicht zustimmt, muß die Zeit der Einsetzung der E. dahingestellt sein lassen; daß in der genannten Inschrift nicht von der Einsetzung die Rede ist, beweist nichts für das Bestehen eines E.-Gerichts vor Drakon. Dagegen scheint allerdings in der ältesten Zeit der Areopag alle Mordklagen (nicht bloß die auf vorsätzlichen Mord) verhandelt zu haben, die E. also zur Erleichterung oder Beschränkung des Areopags eingesetzt worden zu sein, v. Wilamowitz Aristost. II 199. Gilbert a. a. O. 492f. Daß das Gericht der E. in unveränderter Form bis 409/8 bestanden hat, folgt aus der Inschrift; doch scheint es allmählich an Ansehen verloren zu haben (Poll. VIII 125 κατὰ μικρὸν δὲ κατεγελάοθη τὸ τῶν ἐφετῶν δικαστήριον, was doch wohl schon auf die Zeit vor 408 zu beziehen ist). Dagegen muß nachher eine Veränderung vorgenommen worden sein; in einer nicht lange nach 403/2 gehaltenen Rede des Isokrates (XVIII 54) werden bei einem E.-Prozeß 700 Richter genannt; bei [Demosth.] LIX 10 500 Richter. Bei Arist. [2826] Ἀθ. π. 57, 4 finden wir an ihren Gerichtsstätten erloste Richter; ihr Name . ist freilich nur in dem Zitat des Harpokration sicher überliefert, auf dem Papyrus nicht zu erkennen, vgl. Kaibel Stil und Text von Arist. Ἀθ. π. 240. Immerhin ist es auch nach Demosth. XXIII 38 wahrscheinlich, daß der Name E. den in diesen Fällen richtenden heliastischen Gerichtshöfen geblieben ist. Die Änderung muß also zwischen 408 und 402 stattgefunden haben, wahrscheinlich nach dem Sturz der 30, Philippi a. a. O. 318ff. Keil Solon. Verfassung 106ff., nach letzterem – a. a. O. 110f.; er bezieht sich auf das Psephisma des Patrokleides Andoc. I 77ff. – wäre das Delphinion zuerst den alten E. entzogen worden (bei Keils Erklärung bleibt freilich unverständlich, warum ἐκ Δελφινίου nicht vor ἐκ Πρυτανείου steht).

Literatur: Philippi a. a. O., vgl. Lipsius Jahresber. XV 284ff. (wo noch weitere Literatur besprochen ist). Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert. I 2, 355ff. Busolt Gr. Staatsalt.2 273ff.; Gr. Gesch.2 II 234ff. Gilbert Staatsaltert.2 I 424ff.


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