Schublade z. B. habe ich die Aufzeichnungen meines Vaters, die ich niemandem zeige. Aber nur wer sie kennt, ist zum Malen von Richtern befähigt. Jedoch selbst wenn ich sie verlieren würde, blieben mir noch so viele Regeln, die ich allein in meinem Kopfe trage, daß mir niemand meine Stellung streitig machen könnte. Es will doch jeder Richter so gemalt werden, wie die alten großen Richter gemalt worden sind, und das kann nur ich.“ „Das ist beneidenswert,“ sagte K., der an seine Stellung in der Bank dachte. „Ihre Stellung ist also unerschütterlich?“ „Ja, unerschütterlich,“ sagte der Maler und hob stolz die Achseln. „Deshalb kann ich es auch wagen, hie und da einem armen Manne, der einen Prozeß hat, zu helfen.“ „Und wie tun Sie das?“ fragte K., als sei es nicht er, den der Maler soeben einen armen Mann genannt hatte. Der Maler aber ließ sich nicht ablenken, sondern sagte: „In Ihrem Fall z. B. werde ich, da Sie vollständig unschuldig sind, Folgendes unternehmen.“ Die wiederholte Erwähnung seiner Unschuld wurde K. schon lästig. Ihm schien es manchmal, als mache der Maler durch solche Bemerkungen einen günstigen Ausgang des Prozesses
Franz Kafka: Der Prozess. Berlin: Verlag die Schmiede, 1925, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kafka_Proze%C3%9F_265.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2018)