Palimpsest (Deutsch)

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Singular 1 Singular 2 Plural
Nominativ der Palimpsest das Palimpsest die Palimpseste
Genitiv des Palimpsests des Palimpsests der Palimpseste
Dativ dem Palimpsest dem Palimpsest den Palimpsesten
Akkusativ den Palimpsest das Palimpsest die Palimpseste

Worttrennung:

Pa·lim·p·sest, Plural: Pa·lim·p·ses·te

Aussprache:

IPA: [palɪmˈpsɛst]
Hörbeispiele:   Palimpsest (Info)
Reime: -ɛst

Bedeutungen:

[1] Paläographie: beschriebenes Pergament oder anderer Schriftträger, von dem der ursprüngliche Text zunächst (teilweise oder vollständig) abgekratzt oder auf sonstige Weise entfernt wurde und der danach erneut beschrieben wurde
[2] Geologie, Geographie: Struktur, in der sich Merkmale aus zwei oder mehr unterschiedlichen Zeitabschnitten überlagern
[3] figurativ, in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: etwas, das aus mehreren sich überlagernden Schichten oder Ebenen besteht, wobei die überlagerte(n) Schicht(en) bzw. Ebene(n) den äußeren Eindruck noch immer (subtil) beeinflussen

Herkunft:

von lateinisch palimpsēstus → la, das auf griechisch παλίμψηστος (palimpsēstos→ grc „wieder abgekratzt“ zurückgeht. Das Wort ist seit dem 19. Jahrhundert belegt.[1]

Oberbegriffe:

[1] Handschrift

Beispiele:

[1] „Die Worte desselben an die Soldaten stimmen in der ersten Hälfte ganz überein, dann aber scheint im Palimpsest wieder etwas von den 7 Jahren des Martyriums zu stehen, was ich weder zu lesen noch zu deuten vermag.“[2]
[1] „Die Zahl der Palimpseste, der Papyrusstücke, von denen man den ursprünglichen Text abkratzt, um sie wiederzuverwenden, deutet darauf hin, daß der Preis für neuen Papyrus sehr hoch ist.“[3]
[1] „Mit speziellen Fotografie-Apparaturen, vor allem mit dem mobilen Gerät des griechischen Forschungsunternehmens Foundation for Research and Technology Hellas (Forth), reisen die Forscher zu Bibliotheken, in denen sie Palimpseste vermuten.“[4]
[1] „So wurden zur Herstellung eines Palimpsests, wie seitens der Paläographie häufig betont wird, Pergamente unterschiedlicher Provenienz zusammengestellt, sodass aus der palimpsestierten Schrift keine in sich kohärente Textschicht zu rekonstruieren ist, sondern bloß völlig zusammenhanglose Textfragmente […]“[5]
[1] „Der Ambrosianus ist für uns sicher die kostbarste Überlieferung, doch sind nicht alle Komödien in ihm erhalten, und der Text ist als Palimpsest natürlich lückenhaft und nicht immer eindeutig zu lesen.“[6]
[2] „Eine derartige räumliche Verschachtelung von geomorphologischen Formen ist durch Chorley et al. (1984) als Palimpsest bezeichnet worden […] In Übertragung auf geomorphologische Phänomene wird damit ausgedrückt, dass ältere Formungsprozesse bereits abgeschlossen sind und Vorzeitformen erzeugt haben, die unter bestimmten Umständen im heutigen Georelief noch mehr oder weniger stark vorhanden sind.“[7]
[3] „Die ganze Verlassenheit und Interniertheit des Übriggebliebenen, das paradoxe Schuldtrauma des zufällig Überlebenden, klingen aus Federmans Zeilen; sie unterlegen Momente vulgärer Ausgelassenheit mit einem unsentimentalen Palimpsest der Trauer.“[8]
[3] „Der poeta doctus Ingold lockt seine Leser in einen sprachlichen Irrgarten quer durch alle literarischen Gattungen, in ein Labyrinth ineinander verschlungener mythologischer, literarischer und bildkünstlerischer Anspielungen, von Zitaten, Verfremdungen, Imaginationen. Überlagerter Urtext ist ein Palimpsest abendländischer Geistesgeschichte.“[9]
[3] „Unter seinem deutschen Titel ‚Besessen‘ war der Roman einer der Überraschungs-Hits des Vorjahres: ein anspruchsvoller literarischer Detektivroman rund um ein (erfundenes) englisches Dichterpaar des 19. Jahrhunderts, der zugleich als Love-Story, als Wissenschafts- und Universitätssatire sowie als viktorianisches Palimpsest gelesen werden konnte – als drübergeschriebene historische Imitation, die das Original immer täuschend durchschimmern ließ.“[10]
[3] „Dem kulturwissenschaftlichen Verständnis gemäss decodierten sie den Text der urbanen Topographie als Palimpsest verschiedenster sozialer, ökonomischer und symbolischer Einschreibungen: Die Stadt Wien mit ihrer Ringstrasse, die seit der ehrgeizigen Stadtneugestaltung der 1850er Jahre die Zentren der politischen und ökonomischen Macht umgürtet und vereint, kommt einer solchen Perspektive naturgemäss sehr entgegen.“[11]
[3] „[…] Kehlmann hat ein Maximum an Material optimal verarbeitet, und man vermisst das, was die ‚ernsthaften‘ Historiker dazu gesagt haben, gar nicht. Denn ihr Urtext wird in dem Palimpsest, den Kehlmann hier hergestellt hat, sehr schön erkennbar.“[12]

Wortbildungen:

palimpsestartig, palimpsestieren
Palimpseststruktur, Palimpsesttheorie

Übersetzungen

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[1] Wikipedia-Artikel „Palimpsest
[1] Duden online „Palimpsest
[1, 2] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Palimpsest
[1, 2] Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Mannheim 2012, ISBN 978-3-411-71003-4, Eintrag „Palimpsest“
[*] Uni Leipzig: Wortschatz-PortalPalimpsest
[1, 2] Lexikon der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999 auf spektrum.de, „Palimpsest
[2] Lexikon der Geowissenschaften. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2000 auf spektrum.de, „Palimpsest

Quellen:

  1. Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2011, ISBN 978-3-11-022364-4, DNB 1012311937, Stichwort: „Palimpsest“ (offensichtlichen Schreibfehler im lateinischen Ursprung korrigiert).
  2. Detlef Detlefsen, Über einen griechischen Palimpsest der k. k. Hofbibliothek mit Bruchstücken einer Legende vom heiligen Georg, Wien 1858, S. 21 (Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek, URN:nbn:de:bvb:12-bsb10801467-2).
  3. Georges Jean: Die Geschichte der Schrift. Otto Maier, Ravensburg 1991, Seite 41. ISBN 3-473-51018-1.
  4. NZZ am Sonntag, 05.10.2003, S. 75.
  5. Julian Osthues, Literatur als Palimpsest, transcript, 2017, S. 31.
  6. Artur Brückmann: Philologische Anmerkungen zu Plautus. In: Projekt Gutenberg-DE. (URL).
  7. Richard Dikau u.a., Geomorphologie, Springer, 2019, S. 54.
  8. Die Zeit, 01.12.1989, S. 86.
  9. Die Zeit, 30.10.1987, S. 71.
  10. Der Spiegel, 18.04.1994, S. 190.
  11. Neue Zürcher Zeitung, 18.03.2000, S. 86.
  12. Die Presse, 24.09.2005, S. 7.
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