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Artikel „Theudebert I., merovingischer Frankenkönig“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 728–730, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Theudebert_I.&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 19:12 Uhr UTC)
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Theudebert I., merovingischer Frankenkönig a. 534–547, Sohn Theuderich’s I. (a. 511–534, s. den Stammbaum S. 735) des Sohnes von Chlodovech I. (s. A. D. B. IV, 128) und der Suabegotha (Suebigotho), Tochter des Burgundenkönigs Sigismund; ein tapferer Krieger schlug er schon bald nach der Thronbesteigung seines Vaters (c. 515) den frühesten uns gemeldeten Einfall dänischer Seeräuber zurück, die an den gallischen Küsten, vielleicht im Hattuarierland, geheert hatten, wobei deren König Chochilaich fiel; es ist der Hygelac des Beowulfliedes, der, übrigens nicht König der Dänen sondern der Gauten – der „Geaten“ des Liedes – als Beowulf’s Mutter-Bruder gilt. Nachdem Chochilaich, der den Rückzug der Schiffe decken sollte, auf dem Strande gefallen war, erreichte Th. auf offener See auch die Raubdrachen und nahm ihnen die Beute wieder ab. Im J. 531 begleitete er den Vater auf dem Feldzug gegen die Thüringe. Daß der thüringische Gaukönig Hermenefrid, der auf Theuderich’s Seite gefochten hatte, nach dem Friedensschluß als dessen Gast ermordet und zwar von Th. von der Mauer der Stadt Zülpich herabgestürzt worden sei, ist vielleicht nur sagenhafte Ueberlieferung. Zweifelig erscheint, ob sich Th. an dem Kriege betheiligte, in welchem (a. 532) seine Oheime Chlothachar I. und Childibert I. (siehe A. D. B. XIX, 225) das Burgundenreich eroberten): wenigstens erhielt er später (a. 534) einen Theil altburgundischen Landes. Im gleichen Jahr (532) führte Th. einen erfolgreichen Feldzug gegen die Westgothen, ihnen Gebiete, die sie nach Chlodovech’s Tod an sich gerissen, wieder abzunehmen: er drang bis Béziers, nahe (nördlich) der Hauptstadt des westgothischen Galliens, Narbonne, eroberte und plünderte die Burg Deas (heute Dio, Departement Hérault, nordwestlich von Bédarieux, die Stadt Cabrières ergab sich auf Betreiben der Deuteria, eines schönen Weibes, die sich Th. zur Gattin nahm, obwol sie verheirathet war; sein Vater trug ihm auf, Sigvald, den Sohn eines gleichnamigen, wegen Verbrechen hingerichteten Großen zu tödten, aber Th. verhalf ihm zur Flucht, weil Sigvald sein Pathsohn war – so stark wirkte damals bereits dieses Band! (ähnlich später zur Zeit Chlothachar’s II.). Auf die Nachricht von des Vaters schwerer Erkrankung eilte Th. zurück, seine Thronfolge zu sichern gegen die Oheime Childibert I. und Chlothachar I., die ihn, wie merovingische Oheime zu thun liebten, ausschließen wollten. Durch Geschenke gewann oder bekräftigte er die Ergebenheit seiner leudes und behauptete sein Erbe (über dessen Umfang und Lage s. Theuderich I.) mit den Waffen.

In ihm mischten sich die glänzenden Gaben seiner Sippe mit deren Freveln: zügellose Sinnenlust, rücksichtslose Machtgier und ruchlose, keine Treue [729] kennende Staatskunst: doch fehlen nicht Züge von Edelmuth und ein stolzer, hochfliegender, kühn planender Sinn. Gregor von Tours lobt ihn gewaltig, auch zumal wegen seiner Ehrsucht vor den Geistlichen und seiner Freigebigkeit gegen die Kirchen und die Armen; den Kirchen der Auvergne erließ er alle Steuern, dem Bischof und den verarmten Bürgern von Verdun lieh er 7000 Goldsolidi und erließ ihnen dann die Schuld, jenem Sigvalt (o. S. 728) gewährte er freie Heimkehr, Wiedergabe der eingezogenen Vatergüter und reiche Geschenke. Andrerseits entriß er Deuteria ihrem Gatten, verließ um ihretwillen seine Braut Wisgardis, verstieß dann jene um auf Verlangen der Franken diese, die Tochter des Langobardenkönigs Wacho (s. den Artikel) sich zu vermählen und heirathete nach deren Tod nicht Deuteria, (obwohl er einen Knaben, Theudebald, seinen Nachfolger, von ihr hatte), sondern eine ungenannte Dritte.

In einem der unter den Merovingen häufigen plötzlichen und uns in ihren Gründen unerfaßbaren Umschläge der Parteistellung zog nun Childibert I. Th. aufs engste an sich, nahm ihn, der söhnelose, zum Wahlsohn an und beide griffen Chlothachar an. Dieser floh vor der Uebermacht in den Wald von Arelaunum auf einer Halbinsel der unteren Seine und wurde hier aus der Umzingelung und dem drohenden Tode nur durch St. Martin gerettet, der durch ein furchtbares Gewitter die Scharen der Verbündeten zerstreute (534).

Im folgenden Jahre beginnt das merovingische Ränkespiel, das in dem zwanzigjährigen Kampfe der Ostgothen und der Byzantiner so oft die gleiche Tücke bewährte: die Merovingen ließen sich von beiden Parteien Schätze, von den Gothen auch Landgebiete als Preis für die Waffenhülfe spenden und blieben entweder zu Hause oder gingen in Italien gegen beide vor, Eroberungen für sich selbst zu machen; so traten die Gothen Th. jene rhätischen Landschaften ab, in welchen die vor Chlodovech flüchtenden Alamannen den Schutz Theoderich’s des Großen (s. o. S. 704) gefunden hatten, so daß jetzt der ganze Stamm der Alamannen dem König von Austrasien gehorchte.

Die von dem Gothenkönig Vitigis (s. d. Art.) den drei Frankenkönigen gesandten Goldzahlungen bewog Childibert Th. unter sich allein zu theilen, Chlothachar dessen Drittel vorenthaltend. Erst im dritten Kriegsjahr (538) erschienen die den Gothen zugesagten fränkischen Hülfstruppen in Italien, aber nicht Franken, sondern Burgunden, auf daß man Byzanz gegenüber den Schein wahren konnte, diese seien gegen den Willen der Merovingen ausgezogen; diese Burgunden (10000 Mann) und die Gothen zusammen eroberten das von den Byzantinern besetzte Mailand. Im folgenden Jahre (539) aber litt es den kampf- und eroberungslustigen Enkel Chlodovech’s nicht zu Hause; er konnte der Gier nicht länger widerstehen, selbst in Italien zu erscheinen und dort in Person alle Vortheile einzuheimsen, die der lang und schwankend wogende Kampf, die Erschöpfung beider Parteien als sichere Beute in Aussicht stellte. Dabei beschloß er die Maske so spät als möglich abzuwerfen, Gothen und Byzantiner möglichst lang in dem Wahne zu wiegen, er komme zu ihrer Hülfe, um so beiden möglichst viel von italischem Boden zu entreißen. Er überschritt mit einem Heere von (angeblich) 100000 Mann die Alpen und zog nach Ligurien, scheinbar den Gothen zu Hülfe; unter diesem Schein gewann er, eifrig von den Gothen unterstützt, den Uebergang über den Tessin bei Pavia, überfiel darauf das Lager der Ahnungslosen, schlug und verfolgte die Erschrockenen über Bologna hinaus bis Ravenna und schlug desgleichen ein hier in der Nähe stehendes Heer der Byzantiner. Von weiteren Fortschritten, wohl vielmehr durch heftig ausbrechende Seuchen als durch Furcht vor den Drohungen Belisar’s mit der Rache des Imperators wegen des Vertragsbruches abgehalten, trat Th. den Rückzug an, auf welchem er wahrscheinlich erst noch Genua plünderte. Doch ließ er zur Behauptung seiner beträchtlichen Eroberungen [730] Truppen unter den Feldherren Buccilin, Hamming (s. o. S. 728) und Lantachar zurück. Im J. 548 fiel Lantachar im Kampf gegen die Byzantiner. Th. hatte den größten Theil von Venetien, ganz Ligurien und die cottischen Alpen gewonnen, die Gothen nur wenige Städte, die Byzantiner nur die Küstenstriche behalten. Neue Verhandlungen mit Vitigis scheiterten, Belisar warnte vor der erprobten merovingischen Treulosigkeit; ein Vertrag mit Totila, wonach Theudibert bis zur Besiegung der Byzantiner den bisherigen Besitz unter Neutralität behaupten, später einen Ausgleich eingehen sollte, ward durch den Untergang des Gothenreiches gegenstandslos. Die reichen Zahlungen aus Ravenna und Byzanz lieferten ohne Zweifel das Gold, aus welchem Th. die auffallend häufigen Münzen seiner Prägung herstellte: die ersten Goldmünzen eines Barbarenkönigs mit dessen eigenem Bild, wie auch er allein von allen Frankenkönigen bis auf Karl den Großen sich den Titel „Augustus“ beilegte.

Von Theudebert’s Walten in seinem Reich erfahren wir nur noch, daß er seine Franken unerachtet heftigen gewaltthätigen Widerstrebens gegen die (römischen) Beamten des Königs der Grundsteuer unterwarf, eine wohl begründete Maßregel. Gegenüber Byzanz führte Th. in einem Briefe (der ihm, nicht Theudebald oder Theudebert II. zuzutheilen ist) eine stolze, selbstbewußte Sprache; er rühmt sich, daß er die Thüringe sich unterworfen, deren Könige ausgerottet, die Nordschwaben (nahe Thüringen in ursprünglich sächsischen Gauen) und die Westgothen, die Sachsen und die Jüten (Eucios) sowie Norditalien und Nordpannonien gewonnen habe, so daß sich seine Herrschaft von der Donau bis an die (Nord-)See erstrecke, woraus erhellt, daß damals schon wenigstens Theile Baierns zu dem austrasischen Reiche gehörten. Es ist daher auch nicht unwahrscheinlich, daß Th. sich, wie berichtet wird, mit dem Plane getragen habe, im Bunde mit Langobarden und Gepiden die Byzantiner in Thrakien anzugreifen, aber Th. starb schon 547 (nicht 548) an einer Krankheit (nicht auf einer Bärenjagd); ihm folgte sein Sohn Theudebald (von der Deuteria, die bei Krusch Fredigar S. 553 angeführte Tochter ist nur Deuteria’s Kind aus erster Ehe; sie ließ es aus Eifersucht ermorden).

Quellen und Litteratur: Gregor. Turon. historia ecclesiastica Francorum ed. Arndt et Krusch. Mon. Germ. hist. Script. rer. Meroving. I, 1, Hannover 1884, III, 23 seq. Fredigar ed. Krusch, ebenda 1889, III, 40–49, 68 seq.Passio St. Sigismundi, ebenda p. 339 Liber histor. Francor. 26. seq.Procopius, bellum Gothicum ed. Dindorf, Bonn 1838, III, (I, 5 seq.). – Agathias, historiarum libri quinque ed. Niebuhr. (1828 I, 4 seq.). – Chronica minora: Marius Aventicensis, Chronicon ed. Mommsen, Mon. Germ. h. autor. antiq. IX, 2. 1892. – Marcellini Chronicon eodem.Paulus Diaconus, historia Langobardum ed. Waitz, ebenda, Hannover 1878, I, 21 seq.Epistolae Merov. et. Karol. aevi ed. Dümmler (Gundlach), ebenda Epistolar. III, Berol. 1892. – Fauriel, histoire de la Gaule méridionale sous la domination des conquérants Germains II, Paris 1836, p. 136 – Loebell, Gregor von Tours und seine Zeit, 2. Ausgabe durch Bernhardt, Leipzig 1869 S. 29 f. – Zeuß, die Deutschen und die Nachbarstämme, München 1837, S. 362. – Digot, histoire du royaume d’Austrasie I, Paris 1863, p. 301 seq. – Bonnell, die Anfänge des karolingischen Hauses, Berlin 1866, S. 204 – Waitz, Göttinger gelehrte Anzeigen, 1886, S. 1256 f. – Heinrich Rückert, De commerio regum Francorum cum imperatoribus orientis, Jena 1845. – Dahn, Könige II, München 1862, S. 220, Urgeschichte III, Berlin 1883, S. 177 f. – Deutsche Geschichte I, b, Gotha 1888 S. 117.
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