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Artikel „Tieck, Dorothea“ von Wilhelm Bernhardi (Historiker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 246–247, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tieck,_Dorothea&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Tieck: Dorothea T., älteste Tochter Ludwig Tieck’s. Sie wurde zu Berlin im J. 1799 geboren. Durch ihre Mutter Amalie Alberti, welche wohl nach mehr als einem Jahrzehnt nach ihrer Verheirathung zur römischen Kirche übertrat, wurde sie noch als Kind veranlaßt gleichfalls katholisch zu werden, während der Vater trotz katholisirender Richtung, die nicht nur in den früheren Schriften z. B. in der Genoveva und im Octavian sich zeigt, sondern auch noch 1839 in der Novelle der Schutzgeist scharf hervortritt, protestantisch blieb. Dorothea war ein Mädchen von seltener Begabung und hervorragendem Wissenstrieb. Frühzeitig erlernte sie neuere Sprachen: französisch, englisch, italienisch, spanisch. Als die Tieck’sche Familie nach dem Tod des Grafen Finkenstein ihren festen Wohnsitz 1819 in Dresden aufschlug, wurde die zwanzigjährige Dorothea die dauernde litterarische Gehülfin ihres Vaters. Ihr Antheil an der Uebersetzung des Shakespeare und älterer englischer Schauspiele ist in dem Artikel Ludwig Tieck S. 251 f. angegeben. Doch wußten nur die näheren Bekannten von ihren Arbeiten, die unter ihres Vaters Namen in die Welt gingen. Auch aus dem Spanischen hat sie mehrere Uebersetzungen geliefert. 1827 erschien: Leben und Begebenheiten des Escudero Marcos Obrégon. Aus dem Spanischen zum ersten Male in das Deutsche übertragen, und mit Anmerkungen und einer Vorrede begleitet von L. Tieck. 2 Bde. Breslau. (Die Vorrede wiederholt in Tieck’s krit. Schr. II, 59). Die Uebersetzung ist Dorothea’s Werk. Ebenso ist von ihr: Cervantes, Leiden des Persiles und der Sigismunda. Aus dem Spanischen übersetzt. Mit einer Einleitung von L. Tieck. 2 Bde. Leipzig 1837. Auch von den alten Sprachen erwarb sie bedeutende für eine Frau ungewöhnliche Kenntnisse, so daß sie Homer und Herodot, das Neue Testament, Livius, Horaz und Vergil in der Ursprache las. Insbesondere gefiel ihr die Aeneis, welche sie fünf Mal von Anfang bis zu Ende las. Von den italienischen Dichtern schätzte sie Dante, den sie ebenfalls wiederholt eifrig studirte, am höchsten; dem Ariost vermochte sie Tasso gegenüber kein Interesse abzugewinnen. Von den Spaniern beschäftigte sie sich viel mit Calderon. Tiefen Eindruck machte auf sie der Tod der Mutter im J. 1837. Sie fühlte sich seitdem als Fremdling im väterlichen Hause. So sehr sie ihren Vater liebte, empfand sie die Zugehörigkeit der Gräfin Finkenstein zu diesem tief und schmerzlich. So schreibt sie am 7. Januar 1839 an Fr. v. Uechtritz (Erinnerungen an Fr. v. Uechtritz, her. v. Sybel, S. 218): „Ich weiß nicht, worin es liegt, es ist aber, als wäre mit dem Scheiden der Mutter Alles weit schlimmer geworden, und doch wünsche ich sie nicht zurück. Weshalb sollte sie das auch noch empfinden, was mich so tief betrübt, und was sie nun im helleren Lichte sieht. Wenn ich daran denke, was mein Vater mit seinem großen Geiste für Deutschland und für künftige Geschlechter hätte sein können, wie er durch sein herrliches Gemüth die Seinigen hätte beglücken können, so ergreift mich bei diesem Gedanken eine Schwermuth, ein so tiefer Lebensüberdruß, daß ich schwere Kämpfe mit mir selbst durchzumachen habe, um das Gleichgewicht nur einigermaßen wieder herzustellen. Wie schrecklich sind die Folgen dieser unnatürlichen Verbindung für den armen Vater in seinem ganzen Leben gewesen. Seine schriftstellerische Laufbahn ist dadurch gehemmt, seine [247] schönste Kraft gebrochen worden, sie hat ihn verhindert, sich eine sorgenfreie Existenz zu begründen, alles häusliche Glück und Familienleben für immer zerstört, und welche bittere Früchte trägt sie nun seinen Kindern und ihm selbst in seinem Alter.“ – Die Briefe an Uechtritz, deren 21 gedruckt sind (a. a. O., S. 156–225), geben ein schönes Bild ihres edlen Charakters, ihrer hohen Begabung, ihrer Aufopferungsfähigkeit. Schwermüthige Entsagung durchdringt ihr ganzes Wesen, das von religiöser Heiligkeit wie verklärt erscheint. Sie würde, wie sie sagt, am liebsten ins Kloster gegangen sein, wenn sie nicht für den Vater zu sorgen hätte. Jeden Morgen um 6 Uhr ging sie in die Messe, sie leitete eine Schule, in der arme Mädchen aus den untersten Ständen unterrichtet wurden. Ihre letzte litterarische Arbeit war eine abkürzende Uebersetzung von Spark’s Leben und Briefe Washington’s, zu welcher sie Fr. v. Raumer veranlaßte. Sie starb am 21. Februar 1841 unvermählt zu Dresden.

Vgl. Köpke, L. Tieck, II, 58–62, 92–94 u. 99 f. – Erinnerungen an Fr. v. Uechtritz, her. v. Heinr. v. Sybel, S. 154–228. – Ein Brief an Fr. v. Raumer, Lebenserinnerungen u. Briefwechsel II, 305–307.
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