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Deutschland

Der politisch-geografische Begriff Deutschland (vor 1500 in der Regel in der Form: die Deutschen Lande) bezeichnete ab dem 11. Jahrhundert das Staatswesen (Regnum teutonicum), das aus dem ostfränkischen Reich hervorgegangen war (Heiliges Römisches Reich). Seit 1871 wird er für das zweite Reich und für dessen Nachfolgestaaten verwendet.

Von 1866 bis 1918

Die deutsche Einigung

Der preussische Sieg über Österreich im Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, der in Königgrätz/Sadowa (Juli 1866) entschieden wurde, die Auflösung des Deutschen Bundes und die Bildung eines Norddeutschen Bundes (1866-1867) unter der Führung von Preussen, der mit den Staaten Süddeutschlands (Grossherzogtum Baden, die Königreiche Bayern und Württemberg) durch Militärabkommen verbunden war, versetzten die Eidgenossenschaft in eine neue Lage. Der Einigungsprozess rief grosse Besorgnis hervor. Die Schweiz bemühte sich jedoch um gute Beziehungen zu Preussen sowie zu Baden, Württemberg und Bayern. In jedem dieser vier Staaten, deren Gesandte sich in Bern niederliessen, wurde auch ein Minister der Schweiz akkreditiert. Am 13. März 1869 unterzeichnete die Eidgenossenschaft einen Handelsvertrag mit dem Norddeutschen Bund. Auch Verhandlungen über ein Abkommen über den Durchstich des Gotthardtunnels fanden statt, an denen neben der Schweiz Italien, Baden, Württemberg und der Norddeutsche Bund teilnahmen. Diese Länder schufen die Grundlage für einen Vertrag (15. Oktober 1869); die Räte kamen im Juli 1870 zusammen, um ihn zu ratifizieren, doch der Deutsch-Französische Krieg verzögerte seine Unterzeichnung.

Dieser Konflikt stellte die Eidgenossenschaft vor komplexe diplomatische, militärische und humanitäre Probleme. Der Schweiz gelang es aber, ihre Beziehungen zu den Kriegsparteien positiv zu gestalten. Die Furcht vor der militärischen Bedrohung, welche die deutschen Siege auslösten, nahm bald wieder ab, auch wenn es ab November 1870 nach der Besetzung von Belfort an der Grenze im Jura zu zahlreichen Zwischenfällen kam. Die Massnahmen, die der Bundesrat im September 1870 zugunsten der von der neuen französischen Regierung ausgewiesenen Deutschen ergriffen hatte, bewirkten einen Meinungsumschwung in der deutschen Presse, welche die Schweiz bis dahin einer "übelwollenden Neutralität" beschuldigt hatte. Die Schweiz nahm die bayerischen und badischen Bürger in Frankreich unter ihren Schutz und der Bundesrat intervenierte zugunsten der deutschen Gefangenen bei der Delegation von Tours. Ihre Guten Dienste brachten der Schweiz keinerlei Vorteile; Bismarck stellte sich gegen jegliche Abtretungen von elsässischen Gebieten an die Eidgenossenschaft.

Das Kaiserreich

Eine Ära der Spannungen

Nach dem deutschen Sieg befand sich die Eidgenossenschaft in einer völlig veränderten geostrategischen Situation. An ihrer nördlichen Grenze war eine Grossmacht entstanden; der Gürtel von unabhängigen Staaten, der sie von Preussen getrennt hatte, existierte nicht mehr. Österreich im Osten war geschwächt und aus der deutschen Gemeinschaft ausgeschieden. Die Zukunft der jungen französischen Republik im Westen erschien ungewiss. Die Schweiz musste sich um korrekte, wenn nicht gar herzliche diplomatische Beziehungen zum neuen Deutschen Reich bemühen, das sie am 30. Januar 1871 anerkannte; sie beglückwünschte Wilhelm I. am 20. Februar. Am 4. April wurde General Max von Roeder als kaiserlicher Gesandter in der Schweiz akkreditiert. Die diplomatischen Vertretungen von Baden und Württemberg wurden geschlossen, die von Bayern blieb bestehen.

In den ersten 20 Jahren nach der Gründung des Reichs wurden die meisten Auseinandersetzungen zwischen diesem und der Schweiz auf politischer und diplomatischer Ebene ausgetragen; allerdings sind auch antideutsche Ressentiments der schweizerischen Bevölkerung nachweisbar (Tonhallekrawall). Erste Konflikte entstanden in Zusammenhang mit dem Kulturkampf, der dem Kanzler Bismarck ein besonderes Anliegen war. Der Streit zwischen dem laizistischen Staat und der römisch-katholischen Kirche war in der Schweiz ab 1870 wieder aufgeflammt. Nachdem einzelne Ereignisse in der Eidgenossenschaft eine Protestwelle im katholischen Milieu wie in Regierungskreisen Frankreichs hervorgerufen hatten, informierte Bismarck Ende Juni 1873 den Schweizer Minister in Berlin, Bernhard Hammer, dass er keinen französischen Druck auf die Schweiz dulden bzw. mit demselben Druck auf Frankreich reagieren werde. Diese Einmischung in innere Angelegenheiten der Schweiz stärkte die extremen Verfechter einer antiklerikalen Politik, die schliesslich im Dezember 1873 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan führen sollte.

Karikatur zum Gotthardvertrag, 1909 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
Karikatur zum Gotthardvertrag, 1909 (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Vor allem bezüglich der Frage der politischen Flüchtlinge übte der Kanzler grossen Druck aus. Bereits lange vor dem Krieg von 1870-1871 war die Schweiz zum bevorzugten Zufluchtsort für deutsche Sozialisten geworden, die auch zahlreiche Vereine gegründet hatten (21 im Jahre 1871). Um sich seiner wichtigsten Gegner zu entledigen, liess Bismarck durch das sogenannte Sozialistengesetz im Oktober 1878 sozialistische Organisationen und deren Presse verbieten. Viele von den zur Auswanderung gezwungenen Sozialisten liessen sich in der Schweiz nieder, wo sie sehr aktiv waren. Ab 1879 veröffentlichten sie in Zürich das Blatt Der Sozialdemokrat, das heftige Angriffe gegen den Kaiser und den Kanzler richtete und heimlich nach Deutschland gelangte. Trotz der Proteste des deutschen Gesandten beim Bundesrat unternahm die Schweiz bis 1888 nichts. Im April jenes Jahres wies der Bundesrat Redaktoren aus, die sich in einer heiklen Affäre auch nach einer Mahnung zur Mässigung keinerlei Zurückhaltung auferlegten: Der Zürcher Polizeichef hatte entdeckt, dass die kaiserliche Polizei in linken Kreisen in der Schweiz Lockspitzel unterhielt. Ohne seine Vorgesetzten zu informieren, setzte er zwei deutsche sozialistische Abgeordnete davon in Kenntnis, die dies dem Reichstag eröffneten. Die Krise gipfelte im April 1889 in der Wohlgemuth-Affäre. Bismarck versuchte, der Auswanderung der Sozialisten ein Ende zu setzen, doch seine Drohungen gegenüber der Schweiz blieben erfolglos. Er änderte seine Taktik und warf nun der Eidgenossenschaft vor, sich nicht an Artikel 2 des Niederlassungsvertrags vom 27. April 1876 zu halten, nach dem deutsche Staatsbürger, die sich in der Schweiz niederlassen wollten, ein Zeugnis über eine sittliche Lebensführung vorzulegen hatten. Er behauptete, die Ausstellung eines solchen Dokuments gewähre Deutschland ein Aufsichtsrecht. Der Bundesrat lehnte es in seiner Antwort ab, die Aufnahme von Ausländern in der Schweiz von einer fremden Regierung kontrollieren zu lassen, weil dies eine Beschneidung der nationalen Souveränität bedeuten würde. Daraufhin kündigte Bismarck am 20. Juli 1889 den Vertrag auf. Im Winter 1889/1890 beschloss Wilhelm II., in Berlin eine internationale Konferenz zur Regelung des Arbeitsschutzes einzuberufen; Bismarck hatte ihm jedoch verheimlicht, dass der Bundesrat dasselbe vorhatte. Wegen dieses Zwischenfalls und zahlreicher Differenzen bezüglich innenpolitischer Fragen forderte Wilhelm II. Bismarck am 19. März 1890 zum Rücktritt auf. Von da an normalisierten sich die Beziehungen zu Deutschland. Die Wiederaufnahme von Verhandlungen führten zum Vertrag vom 31. Mai 1890, der abgesehen von einer Änderung im Artikel 2 dem Abkommen von 1876 entsprach. 1909 wurde der Artikel 2 bei einer erneuten Aushandlung des Vertrags gestrichen; in dieser Form trat er am 1. Oktober 1911 in Kraft. Einer der wichtigsten Verträge zwischen Deutschland und der Schweiz – sowie Italien – war der 1909 erneuerte Gotthardvertrag.

Im März 1893 empfing der Bundespräsident in Luzern Wilhelm II., der ihn seiner freundschaftlichen Gefühle für die Schweiz versicherte. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern waren von da an minimal. Im "Mehlkrieg" von 1908-1909 – Deutschland gewährte seinen Mehlproduzenten eine Exportprämie –, drohte der Bundesrat, eine Importsteuer zu erheben. In der Silvestrelli-Affäre trug die Intervention Deutschlands 1902 zur Beilegung der italienisch-schweizerischen Krise bei. Vom 3. bis zum 6. September 1912 unternahm Wilhelm II. einen Staatsbesuch in der Schweiz. Bei der Beobachtung von Manövern des 3. Armeekorps konnte er sich versichern, dass die Schweiz fähig zur Erfüllung der Rolle sein würde, die ihr im Schlieffen-Plan zugedacht war. Der Kaiser wurde von der deutschschweizerischen Bevölkerung begeistert empfangen; allerdings wurde der Besuch von den Linken scharf kritisiert. In der Westschweiz löste er grosses Unbehagen aus – hier zeichnete sich die Entstehung des im Ersten Weltkrieg offen zutage tretenden Grabens zwischen Deutsch- und Welschschweiz bereits ab.

Die wirtschaftlichen Beziehungen

Staatsbesuch von Wilhelm II.: Hohe schweizerische und deutsche Offiziere wohnen in Kirchberg (SG) den Manövern des 3. Armeekorps bei. Fotografie von Anton Krenn, 1912 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz.
Staatsbesuch von Wilhelm II.: Hohe schweizerische und deutsche Offiziere wohnen in Kirchberg (SG) den Manövern des 3. Armeekorps bei. Fotografie von Anton Krenn, 1912 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz. […]

Da die Verfassung von 1874 die Zuständigkeiten des Bundes erheblich ausgeweitet hatte, erhöhte die Schweiz ab 1878 die Zolltarife und ging in den 1880er Jahren – also später als die meisten anderen Länder – zu einer Schutzzollpolitik über. Deutschland beschuldigte den Bundesrat deshalb, eine Form von Protektionismus zu betreiben. Der Handelsvertrag von 1869, der auf der Meistbegünstigungsklausel basierte, wurde neu ausgehandelt – die Unterzeichnung erfolgte 1881 – und 1891 schliesslich erneuert. In diesem Jahr hatte Frankreich strenge protektionistische Massnahmen ergriffen, welche die Schweiz Deutschland in die Arme trieben, zumal dieses seit Bismarcks Rücktritt eine liberalere Handelspolitik praktizierte. Bis zum Vertrag von 1891 waren nur wenige Schweizer Waren nach Deutschland ausgeführt worden, doch ab 1896 nahmen Importe und Exporte ständig zu. 1892 betrugen die Schweizer Exporte (Uhren, Maschinen, Stickerei, Textilien usw.) 162 Mio. Franken; sie stiegen bis 1913 auf 306 Mio. Franken. Deutschland wurde der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Zwischen 1911 und 1913 stammte ein Drittel der Schweizer Importe aus dem Reich. Gegen diese Entwicklung hatten schon lange protektionistisch gesinnte Kreise protestiert, die Deutschland beschuldigten, das Land mit Billigprodukten zu überschwemmen. Dank geschickter Kampfzoll- und Verhandlungspolitik gelang es der Schweiz nach der Jahrhundertwende, die eigenen wirtschaftlichen Interessen allgemein besser zu schützen; ein im November 1904 geschlossener Zusatzvertrag verbesserte die Bedingungen für den Export nach Deutschland. Eine Wende in den deutsch-schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen brachte der Vertrag von 1910. Er führte eine Reihe von Zollsenkungen ein und regelte den Grenz- sowie den Veredelungsverkehr: Waren (in erster Linie Textilien) durften zur Weiterverarbeitung vorübergehend importiert werden, sofern sie danach wieder ausgeführt wurden. Im militärischen Bereich schliesslich rüstete die Eidgenossenschaft 1904-1912 ihre Artillerie fast ausschliesslich mit Krupp-Kanonen aus, was in den Staaten der Entente zum Teil als Zeichen einer Annäherung an den Dreibund interpretiert wurde.

Die deutsche Kolonie

Werbung für das Restaurant Eintracht, publiziert 1891 im Bericht des Deutschen Arbeitervereins Eintracht in Zürich (Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich).
Werbung für das Restaurant Eintracht, publiziert 1891 im Bericht des Deutschen Arbeitervereins Eintracht in Zürich (Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Zürich). […]

Bis 1914 bildeten die Deutschen die grösste Ausländerkolonie in der Schweiz (Ausländer). 1870 hielten sich 57'000 deutsche Staatsbürger auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft auf. 1910 betrug ihre Zahl rund 220'000, wobei sich die grössten Konzentrationen in Zürich, Basel und St. Gallen befanden; umgekehrt waren rund 15'000 Schweizer in Deutschland niedergelassen. Die deutsche Kolonie war sehr aktiv in den Bereichen Industrie, Handel und Technik sowie auf intellektuellem Gebiet. 1905 waren 6% der Unternehmens- und Geschäftsbesitzer Deutsche und einige von ihnen hatten regelrechte Industrieimperien aufgebaut: Carl Franz Bally (Schuhe), Henri Nestlé, Georg Wander (Lebensmittel), Christian Gröninger (Metallerzeugnisse), Gustav Henckell (Hero Konserven), Walter Boveri (Brown-Boveri), der Arzt Alexander Spengler, der "Erfinder" von Davos, sowie Wilhelm Girardet und Jakob Friedrich Walz, die Gründer des Tages-Anzeigers (1893).

Die deutsche Kolonie in der Schweiz 1880-2000

Jahrabsolute Zahlen% der Ausländer
188095 26245,1%
1910219 53039,7%
1920149 83337,2%
1930134 56137,8%
1941a78 27435,0%
195055 43719,4%
196093 40615,9%
1970118 28910,9%
1980b87 9139,3%
199084 4857,4%
199591 9766,7%
2000109 7857,7%

a einschliessl. der Österreicher

b 87 389 gemäss StJ 1997

Die deutsche Kolonie in der Schweiz 1880-2000 -  Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Die Kolonie hatte sich in zahlreichen Chören, Sportgruppen, Berufsvereinigungen, Frauen-, Veteranen-, Studenten- und Unterstützungsvereinen organisiert. Einige nationalistische Gruppen verherrlichten das Reich und das Deutschtum. Auch die Sozialisten besassen ihre eigenen Organisationen und ihre Arbeitervereinigungen, die bis zum Rücktritt Bismarcks ihre in Deutschland verbliebenen Genossen unterstützten (Deutsche Arbeitervereine). Sie besassen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss innerhalb des schweizerischen Gewerkschaftsbundes und der sozialdemokratischen Partei. Im Allgemeinen zeigte sich die deutsche Kolonie loyal gegenüber der Schweiz, die sie unter anderem in der Wohlgemuth-Affäre unterstützte.

Die kulturellen Beziehungen

Nach 1871 war der intellektuelle und kulturelle Einfluss Deutschlands in der Deutschschweiz sehr stark und sogar in der Westschweiz spürbar. Es gab zahlreiche deutsche Professoren, die an den Schweizer Universitäten lehrten, oder Schweizer Gelehrte, die an deutschen Hochschulen unterrichteten. In Freiburg beispielsweise waren bei der Gründung 1889 12 von 27 Professoren deutscher Nationalität, 1914 waren es 14 von 73. Ab 1902 gab es in Lausanne einen Lehrstuhl für deutsches Recht, kurze Zeit später auch in Genf. Die Schweizer Universitäten, die früh den Frauen offen standen (Zürich ab 1864), zogen zahlreiche deutsche Studentinnen an. Umgekehrt besuchten viele Schweizer deutsche Universitäten, Kunsthochschulen und Konservatorien. Besonders attraktiv, vor allem für Künstler, waren Berlin und München. Obwohl sich die Westschweizer vor allem nach Paris orientierten, gingen einige auch nach Deutschland (Ernest Ansermet nach Berlin, Emile Jaques-Dalcroze nach Hellerau, Charles Ferdinand Ramuz nach Weimar). Deutsche Schriftsteller und Intellektuelle liessen sich für mehr oder weniger lange Zeit in der Schweiz nieder (Hermann Hesse, Ricarda Huch, Carl und Gerhard Hauptmann, Erich Mühsam, Gustav Landauer, August Bebel). Während deutsche Philosophen, insbesondere Friedrich Nietzsche, in der Schweiz einen gewissen Einfluss ausübten und der Hamburger Gottfried Semper die Pläne für das Polytechnikum Zürich zeichnete, waren in Deutschland Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Carl Spitteler, aber auch Johanna Spyri und Ernst Zahn en vogue, ebenso Maler wie Arnold Böcklin oder Ferdinand Hodler, der den Auftrag zur Dekoration der Universität Jena erhielt. Im Allgemeinen waren diese intellektuellen und künstlerischen Beziehungen ausserordentlich rege und fruchtbar. Üblich waren auch Aufenthalte von Schweizer Offizieren beim preussischen Militär.

Bis zum Ersten Weltkrieg wünschte nur eine verschwindend kleine Minderheit germanophiler Deutschschweizer die Angliederung der Schweiz an das Reich. Auf deutscher Seite betrachtete der 1891 gegründete Alldeutsche Verband die Deutschschweizer als Deutsche. Doch die nationalistische Agitation dieser Organisation fand in der Schweiz nur innerhalb der deutschen Kolonie eine gewisse Beachtung. Gleichzeitig, aber in einem anderen Geist, plädierte der 1880 gegründete Verein für das Deutschtum im Ausland für eine ausschliesslich kulturell verstandene Einheit. Auch dieser Verein, der die Deutschsprachigen im Jura finanziell unterstützte, hatte nur geringen Einfluss.

Der Erste Weltkrieg

Deutschland versicherte dem Bundesrat bei Kriegsausbruch, dass es die Schweizer Neutralität respektiere, und wiederholte diese Aussage im Mai 1915 und im Frühjahr 1917 (Erster Weltkrieg). Der Graben zwischen Deutsch- und Westschweizern vertiefte sich vom Beginn der Feindseligkeiten an, nicht zuletzt wegen der Wahl Ulrich Willes zum General bzw. derjenigen Theophil von Sprechers zum Generalstabschef (Röstigraben). Die unterschiedlich ausgerichteten Kollektivsympathien stellten die innere Geschlossenheit der Schweiz in Frage und erschwerten die Neutralitätspolitik. So drohten zum Beispiel die heftigen Angriffe der Westschweizer Presse, die dem Bundesrat vorwarf, nicht gegen die Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland protestiert zu haben, das Reich zu verärgern. Schon im September 1914 machte General Wille den Bundesrat auf die Folgen aufmerksam, die eine solche Haltung für die Schweiz haben könnte, und am 1. Oktober bat die Regierung die Bevölkerung, ihr Verhalten dem Geist der Neutralität anzupassen. Die Obersten-Affäre (Ende 1915 bis 1916) weckte heftige Emotionen in der Westschweiz und in linken Kreisen, welche die Armee beschuldigten, Deutschland hörig zu sein. Am 27. Januar 1916 riss eine Menge die Fahne vom deutschen Konsulat in Lausanne, was zu heftigen Protesten von deutscher Seite führte. Erst ab ca. 1917 verringerte sich die Kluft wieder: Infolge der sogenannten Grimm-Hoffmann-Affäre ging ein grosser Teil der Deutschschweizer auf Distanz zu den Mittelmächten, und die Ersetzung von Bundesrat Arthur Hoffmann durch Gustave Ador sowie der Rücktritt des zu Unrecht der Deutschtümelei verdächtigten Ludwig Forrers zeigten auch nach aussen eine kritischere Haltung der Exekutive gegenüber dem Reich an.

Die Regelung der wirtschaftlichen Fragen war schwierig. Um zu überleben, musste sich die in dieser Hinsicht unvorbereitete Schweiz, die ab 1915 vollständig von Kriegsparteien umgeben war, häufig den Bedingungen ihrer Nachbarn unterwerfen und eine Einbusse an Souveränität in Kauf nehmen. Deutschland, das unter der Seeblockade der Alliierten litt, bemühte sich, von der Schweiz so viele Lebensmittel und Waren wie möglich zu erhalten. Gewisse deutsche Produkte waren für die Schweiz unverzichtbar (Chemie, Medikamente, Kohle), doch das Reich befürchtete, dass diese wieder in die Länder der Entente ausgeführt würden. Das von Deutschland am 31. Juli 1914 verhängte allgemeine Exportverbot wurde bald erheblich gelockert. Die deutsch-schweizerischen Handelsverträge blieben in Kraft, und bis zum Frühjahr 1915 herrschte reger Handel zwischen den beiden Ländern. Immer zahlreichere neue Import- und Exportverbote zwangen die beiden Länder, Kompensationsverträge abzuschliessen, welche die Menge der Handelsgüter und die Art der einzelnen Kompensationswaren genau festlegten. Im Mai 1915 wurde in Zürich eine Schweizerische Treuhandstelle für Überwachung des Warenverkehrs eingerichtet, um diese Probleme zu regeln. Zwischen 1916 und 1918 wurden mehrere Wirtschaftsabkommen mit Deutschland unterzeichnet. Da die Schweiz die aus dem Reich importierten Güter dringend benötigte, setzte dieses sich auch mit seinen Forderungen teilweise durch.

Die Entente-Mächte, die über viele Rohstoffe verfügten, konnten die Schweiz reichlich beliefern. Sie übten ab Frühjahr 1915 zunehmend Druck auf die Schweiz aus und forderten, dass die von ihnen und neutralen Staaten gelieferten Rohstoffe nicht in Form von Industrieprodukten an die Zentralmächte gelangten, weshalb die Situation für die Schweiz immer schwieriger wurde. Schliesslich stimmte der Bundesrat im September 1915 der Gründung einer Kontrollgesellschaft, der Société suisse de surveillance économique (SSS), zu. Kurz vor dem Krieg waren die Importe in die Schweiz aus den Ländern der zukünftigen Alliierten und der Zentralmächte noch ausgeglichen gewesen; 1917 kontrollierten die Alliierten die Mehrheit der Importe in die Schweiz (903 Mio. Franken gegenüber 504 Mio. von Seiten der Zentralmächte).

Von 1918 bis 1945

Die Weimarer Republik

Als Deutschland die Vereinbarung über den Waffenstillstand am 11. November 1918 unterzeichnete, wurde es bereits durch revolutionäre Unruhen erschüttert. Diese beunruhigten die Schweiz, in der ja gerade der Landesstreik zu eskalieren drohte. Man befürchtete nicht nur, dass das ehemalige Reich in Anarchie verfiel, sondern sah in dessen wirtschaftlichem Zusammenbruch auch eine Gefahr für eigene vitale Interessen. Die Bundesbehörden waren deshalb über die Härte der Alliierten gegenüber Deutschland und ihr Unverständnis für dessen Probleme besorgt (Vertrag von Versailles). Am 15. April 1919 anerkannte der Bundesrat die republikanische deutsche Regierung und brach damit mit der Gepflogenheit, nur Staaten anzuerkennen. Die Reaktion der Gegenseite liess jedoch auf sich warten, und der Schweizer Minister in Berlin legte sein Beglaubigungsschreiben erst im Juni vor. Im Dezember 1921 schloss der Bundesrat mit der deutschen Regierung einen Schieds- und Vergleichsvertrag. Der Beitritt der Schweiz zum Völkerbund im Mai 1920 und die differenzielle Neutralität beunruhigten Deutschland. In der Schweiz lösten die von den Entente-Mächten gegen Deutschland verhängten Sanktionen Vorbehalte und Besorgnis aus. Bei der französisch-belgischen Besetzung der Ruhr (Januar 1923) beschränkte sich der Bundesrat auf eine vorsichtige Neutralität. Innerhalb der Rhein-Zentralkommission setzte sich die Schweiz für die freie Schifffahrt ein, und im Mai 1923 schloss sie ein dahin gehendes Abkommen mit Frankreich und Deutschland. Die Eidgenossenschaft begrüsste den Abschluss der Locarno-Verträge 1925, die Deutschland den Beitritt zum Völkerbund ermöglichten, die diplomatische Gleichheit wiederherstellten, eine Ära des Friedens einzuläuten schienen und die deutsch-französischen Beziehungen entspannten, was für die Schweiz nur von Nutzen sein konnte. Ausserdem entsprachen sie den Ansichten Giuseppe Mottas, der seit jeher für die Zulassung Deutschlands zum Völkerbund plädiert hatte. Die im August 1929 in Den Haag geschlossenen Verträge, infolge deren Frankreich das Rheinland endgültig räumte, wurden in der Schweiz ebenfalls gut aufgenommen, da sie den französischen Druck von grenznahen Gebieten nördlich der Eidgenossenschaft nahmen. Auf der Konferenz von Lausanne im Juni-Juli 1932 konnte Deutschland schliesslich die Reparationsverpflichtungen so gut wie vollständig abschütteln.

Nach Beendigung der Feindseligkeiten komplizierten zahlreiche wirtschaftliche Probleme die Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Zentral war die Frage der Kohlelieferung: Die Schweiz beklagte sich, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Deutschland berief sich in seiner Antwort auf Produktions- und Transportschwierigkeiten und führte auch als Argument an, dass sich die Entente gegen Kohlelieferungen aus der Ruhr an die Schweiz stellte. Erst nach Abschluss eines Abkommens im Juli 1920 stabilisierte sich die Situation. Die gegen das Reich verhängte Wirtschaftsblockade, die erst nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags aufgehoben werden sollte, und die Forderung der Alliierten, keine Lebensmittel nach Deutschland zu exportieren, brachte die Schweiz in eine schwierige Lage. Auch hinderten Deutschland die von den Siegermächten auferlegten Reparationszahlungen, seine Schulden gegenüber der Schweiz zu begleichen.

Im Bereich des Handels hemmten in den frühen 1920er Jahren die durch die Inflation bedingten tiefen Preise für deutsche Produkte die Schweizer Exporte, während auf der anderen Seite exportierte deutsche Güter von dem Valutavorteil profitierten. Diese Konstellation veranlasste die Eidgenossenschaft, die gerade eine Wirtschaftskrise erlebte, zu einer immer protektionistischeren Handelspolitik. Deutschland, das von diesen Massnahmen am stärksten betroffen war, hatte grosses Interesse an der Aufhebung dieser Einschränkungen. Auf Schweizer Seite erwartete man als Gegenleistung Erleichterungen für den Export eigener Produkte nach Deutschland.

Nachdem Deutschland wieder an politischer Handlungsfreiheit gewonnen und seine Währung sich stabilisiert hatte, verbesserte der Vertrag von Juli 1926 die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Er basierte auf der Meistbegünstigungsklausel und gewährte Deutschland Zollvorteile; der Veredelungsverkehr wurde liberalisiert. Doch vom Beginn der 1930er Jahre an praktizierte die Schweiz erneut eine protektionistische Politik und führte ein System der Kontingentierung für Importprodukte ein, das gemäss deutscher Auffassung unvereinbar mit der Meistbegünstigungsklausel war. Grund für diesen Kurswechsel war der andauernde Rückgang des Saldos der Schweizer Handelsbilanz mit Deutschland (92 Mio. Reichsmark 1928 gegenüber 301 Mio. 1930). Dieser Saldo, der immer passiv gewesen war, erreichte 1932 einen derart Besorgnis erregenden Stand, dass der Bundesrat eine Revision des Abkommens mit Deutschland forderte. Zähe Verhandlungen begannen, in der deutschen Presse wurde die Schweiz wegen ihrer restriktiven Handelspolitik heftig kritisiert. Schliesslich wurden im Juni und November 1932 zwei Verträge unterzeichnet, welche die Situation durch die Stärkung der Meistbegünstigungsklausel entspannten.

Das Dritte Reich

Die politischen Beziehungen von 1933 bis 1939

Der Aufstieg und das Regime des Nationalsozialismus lösten in der Schweiz grosse Besorgnis aus, obwohl gewisse rechtsbürgerliche Kreise in der NSDAP zunächst einen willkommenen Verbündeten gegen den Bolschewismus gesehen hatten und das nationalsozialistische Gedankengut von Frontisten extremerer Richtung durchaus geteilt wurde (Frontenbewegung). Doch die Mehrheit der Schweizer war spätestens seit 1934/1935 überzeugt, dass das Dritte Reich in diametralem Gegensatz zu den traditionellen schweizerischen Werten wie Demokratie, Föderalismus oder Liberalismus stand. Infolgedessen gestalteten sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland, das ja auch der wichtigste Handelspartner der Schweiz war, zunehmend schwieriger.

Plakat von Carl Scherer, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat von Carl Scherer, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).

Die ab September 1933 von hochrangigen Nazis abgegebenen Erklärungen, dass die Neutralität der Schweiz respektiert werde, überzeugten hierzulande ebensowenig wie die Rede von Hitler im Mai 1935, in der dieser die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft als "wahrhaftig und real" bezeichnete. Der Leiter des Politischen Departements, Giuseppe Motta, informierte den Schweizer Minister in Berlin, dass er von Hitler eine offizielle Stellungnahme wünsche. Erst im Februar 1937 jedoch machte Hitler dem alt Bundesrat Edmund Schulthess in Berlin Zusicherungen. Der Kanzler unterstrich, dass er die Schweiz als sichere Deckung der Südflanke Deutschlands betrachte. Diese rein verbalen Garantien standen allerdings im Widerspruch zur antischweizerischen Haltung der deutschen Presse und dem Vorgehen einzelner deutscher Stellen. Deutschland interessierte sich auch eingehend für die Rolle der Schweiz im Völkerbund und begrüsste deren Rückkehr zur absoluten Neutralität 1938. Besorgt zeigte es sich hingegen über die Gefahr, die in seinen Augen die Tätigkeit des Völkerbundes auf Schweizer Territorium darstellte.

Versammlung von Mitgliedern und Sympathisanten der NSDAP in der Zürcher Tonhalle, 1935 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz.
Versammlung von Mitgliedern und Sympathisanten der NSDAP in der Zürcher Tonhalle, 1935 (Fotostiftung Schweiz, Winterthur) © Fotostiftung Schweiz. […]

Bis Kriegsende erregten kritische Berichte in der Schweizer Presse das Missfallen der Reichsregierung, die diese beschuldigte, durch eine deutschfeindliche Haltung die Neutralität zu missachten. Die Reichsregierung verbot zahlreiche Schweizer Zeitungen in Deutschland und setzte den Bundesrat mehrfach unter Druck, um die Gleichschaltung der Presse zu erreichen; Massnahmen wurden ab 1934 ergriffen (Zensur). Sehr gespannt war die Lage auch während der sogenannten Jacob-Affäre. Die Deutschen liessen den jüdischen deutschen Journalisten Bertold Jacob-Salomon, den die Gestapo am 9. März 1935 in Basel verschleppt hatte, wieder frei, nachdem der Bundesrat, unterstützt von der öffentlichen Meinung, energisch die Herausgabe des Gefangenen und die Bestrafung der Entführer gefordert hatte. Diese Affäre gab Anlass zu heftigen Demonstrationen gegen die Schweiz in Deutschland, während in der Schweiz ein Verbot der nationalsozialistischen Organisationen gefordert wurde. Erst nach der Ermordung des Landesgruppenleiters der NSDAP Wilhelm Gustloff in Davos am 4. Februar 1936 durch einen jüdischen Studenten entschloss sich der Bundesrat zu diesem Schritt und verbot die Zentrale der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz (Gustloff-Affäre). Ab August 1936 waren jedoch deutsche Nazigruppen bereits wieder aktiv. Es gab auch paramilitärische Sportgruppen, die im Falle eines deutschen Angriffs eine Bedrohung für die Schweiz hätten darstellen können.

Der Zweite Weltkrieg

Beim Ausbruch der Feindseligkeiten notifizierte der Bundesrat am 31. August 1939 die bewaffnete Neutralität, und das Reich verpflichtete sich, diese zu akzeptieren. Am gleichen Tag bestätigte Hitler diese Verpflichtung in seiner Kriegsführungsrichtlinie Nr. 1. Während der gesamten Dauer des Konflikts nährten allerdings offizielle und offiziöse Erklärungen von deutschen Verantwortlichen die Ungewissheit und zwangen den Bundesrat, unablässig seinen Unabhängigkeitswillen zu bekräftigen (Zweiter Weltkrieg).

Der deutsche Angriff auf Frankreich (Mai-Juni 1940) stellte für die Schweiz keine wirkliche Bedrohung dar. Gefahr bestand allenfalls zwischen Ende Juni und Oktober, als die Deutschen erwogen, die Lücke zwischen Genf und Saint-Gingolph zu schliessen; diese ermöglichte nämlich der Schweiz die Kommunikation mit dem nicht besetzten Teil Frankreichs und den reichsfeindlichen Mächten. Der deutsche Führungsstab arbeitete verschiedene Pläne in diesem Sinne aus. Es kam lediglich zu schweren Luftzwischenfällen, bei denen die Schweizer Jagdflugzeuge zwischen dem 8. Mai und dem 10. Juni oft siegreich auf die Maschinen der Luftwaffe trafen. Am 17. Juni bemächtigten sich die Deutschen in La Charité-sur-Loire Dokumenten des französischen Stabs. Darunter befanden sich auch vertrauliche Unterlagen über Kontakte zwischen französischen und schweizerischen Militärs, die den Auftrag hatten, Grundlagen für eine Zusammenarbeit im Falle eines deutschen Angriffs auf das eidgenössische Gebiet zu erarbeiten. Hitler hatte ab Juli Kenntnis von diesen Dokumenten, setzte sie aber nicht ein, erstaunlicherweise auch nicht, um General Guisan zu diskreditieren. Dessen während des Rütli-Rapports am 25. Juni 1940 gehaltene Rede wurde in Deutschland nämlich als feindlicher Akt empfunden und führte am 13. August zu einem offiziellen Protest. Gut aufgenommen wurde von den Reichsbehörden dagegen die im Radio übertragene Rede von Marcel Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940. In dieser rief der Bundespräsident die Schweizer Bevölkerung auf, in einem grundlegend veränderten Europa ihr Selbstvertrauen wiederzufinden. Eine Gruppe von Offizieren sah die Rede als Zeichen für ein Erlahmen des Widerstandswillens an und erwägte, im Fall einer sich abzeichnenden Kapitulationsbereitschaft im Bundesrat die politische Führung an sich zu ziehen und den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime weiter zu organisieren. Viele Frontisten, aber auch reichsfreundliche Schweizer, die keine Nazis waren, darunter ebenfalls Offiziere, fühlten sich in ihren Ansichten bestärkt. Der Bundesrat, dessen Handlungsspielraum angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Reich klein war, betrieb in dieser Situation eine geschickte und erfolgreiche, aber auch ambivalente Politik: Einerseits versuchte er, Deutschland nicht zu brüskieren, und empfing deshalb zum Beispiel im September 1940 noch massgebende Repräsentanten der Nationalen Bewegung der Schweiz, um dann Ende Jahr diese Organisation zu verbieten. Bis 1943 folgten weitere Verbote ähnlicher, von Deutschland aus gesteuerter schweizerischer Organisationen; die NSDAP-Landesgruppe Schweiz wurde aber erst im Mai 1945 aufgelöst.

Der Schweizer Minister in Berlin von 1933 bis 1938, Paul Dinichert, verteidigte die Interessen seines Landes mit Würde, während sein Nachfolger Hans Frölicher, der von 1938 bis 1945 im Amt war, dem Reich allzu ergeben war. Die Gesandten Deutschlands in der Schweiz, Ernst von Weizsäcker (1933-1936) und Otto Köcher (1938-1945), waren rücksichtslose Sprecher ihrer Regierung. Während des ganzen Krieges waren verschiedene deutsche Spionagedienste auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft im militärischen, politischen und wirtschaftlichen Bereich oder bei der Vorbereitung von Sabotageakten sehr aktiv; einige Schweizer, die aus ideologischer Überzeugung oder Gewinnsucht handelten, unterstützten sie bei ihren Machenschaften, andere verpflichteten sich sogar in der deutschen Armee. Doch neben diesen "Kollaborationsschweizern" gab es in der Armee, in den Kirchen, in den politischen Parteien und in den Gewerkschaften auch eine "Schweiz des Widerstands". Insbesondere die Presse verwahrte sich gegen jegliche Kollaboration mit Deutschland und trat für den totalen Widerstand im Falle einer Invasion ein.

Nach dem Einmarsch der Deutschen in die freie Zone Frankreichs (November 1942) war die Schweiz vollkommen von den Achsenmächten umgeben, und die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Neutralität stellte sich für das Reich nicht mehr. Anfang März 1943 traf sich Guisan heimlich in der Schweiz mit dem SS-General Walter Schellenberg und übergab ihm einen Brief an Hitler, in dem er sein Ehrenwort als Offizier gab, dass die Schweiz neutral bleiben und sich gegen jeden Angriff verteidigen werde sowie dass sie keine Beziehungen zu den Alliierten unterhalte. Nach dem Einmarsch der Alliierten in Italien im Juli 1943 bekräftigte die Eidgenossenschaft ihren Willen zur Verteidigung ihrer Neutralität erneut. Weil der Krieg in Oberitalien die Eidgenossenschaft direkt bedrohte, organisierte ein kleiner Kreis um den Nachrichtenoffizier Max Waibel in Ascona am 19. März 1945 ein Treffen zwischen dem SS-General Karl Wolff und zwei alliierten Generälen. Dank dieser Bemühungen konnten deutsche Unterhändler über die Schweiz nach Frankreich und anschliessend ins italienische Hauptquartier der Alliierten gelangen, wo sie am 29. April 1945 die Kapitulation der in Italien stehenden Teile der deutschen Wehrmacht unterzeichneten. Während der letzten Kriegstage wurde die Schweizer Gesandtschaft von Berlin nach Bayern verlegt. Am 8. Mai 1945 verkündete der Bundesrat, dass in seinen Augen die Reichsregierung nicht mehr existiere. Er ordnete die Schliessung der Gesandtschaft in Berlin an, unterhielt aber weiterhin konsularische Vertretungen – deren Zahl wurde sogar erhöht – in Deutschland. Die deutsche Gesandtschaft und die deutschen Konsulate in der Schweiz wurden dagegen geschlossen; der deutsche Gesandte Otto Köcher ausgewiesen.

Die wirtschaftlichen Beziehungen

Von 1933 bis zum Frühjahr 1940 waren die deutsch-schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen von zahlreichen Schwierigkeiten geprägt. Deutschlands Aussenhandel, der unter staatlicher Kontrolle stand, wurde durch Kompensationsabkommen geregelt. Da die Schweiz mehr Waren nach Deutschland exportierte, als sie von dort importierte, stellte sich bald ein Ungleichgewicht im Clearing ein. Im Juni 1939 beliefen sich die deutschen Schulden gegenüber der Schweiz auf 64 Mio. Franken; trotzdem blieb der Handel rege. Ab Herbst 1938 versuchte der Bundesrat in Berlin in Sondierungsgesprächen herauszufinden, ob das Reich im Kriegsfalle der Schweiz weiterhin lebensnotwendige Produkte liefern und den Transit von Waren aus Drittländern durch deutsches Gebiet zulassen würde. Die Reichsregierung vermied es bewusst, sich bezüglich dieser Fragen festzulegen. Bis zum Sieg über Frankreich blieb die Exportpolitik des Reiches gegenüber der Schweiz relativ liberal. In den Wirtschaftsverhandlungen, die im Mai 1940 aufgenommen wurden, nützte das Reich dann die neue machtpolitische Lage radikal aus; es verhängte am 11. Juni 1940 sogar ein Kohlenembargo, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Am 9. August wurde ein Abkommen unterzeichnet, das bis zum 30. Juni 1941 galt. Die Schweiz hielt den Achsenmächten die Transportwege durch die Alpen offen und verpflichtete sich, strategische Güter in grossen Mengen nach Deutschland zu exportieren. Zu diesem Zweck eröffnete sie für das Reich einen Clearing-Kredit in Höhe von 124 Mio. Franken. Das Reich, das daran interessiert war, dass sich die Schweiz mit Gütern eindecken konnte, über die es selbst nicht verfügte, liess auch weiterhin einen beschränkten Handel der Schweiz mit Grossbritannien und überseeischen Gebieten zu, den es allerdings teilweise kontrollierte. Ausserdem hob Deutschland das Kohleembargo auf und genehmigte den Transit von für die Schweiz bestimmten Waren aus den skandinavischen Ländern. Mit dem neuen Wirtschaftsabkommen vom 18. Juli 1941 zahlte die Schweiz einen hohen Preis für den Bezug von überlebenswichtigen Rohstoffen von Deutschland und die teilweise Aufhebung der Gegenblockade, welche die Achsenmächte gegen England verhängt hatten. Sie musste dem Reich bis Ende 1942 einen Vorschuss von 850 Mio. Franken gewähren. Ab Sommer 1942 und während des ganzen Jahres 1943 stellte Deutschland unter Anwendung von Drohungen und Erpressung erneut drastische Forderungen, akzeptierte aber auch eine weitere Lockerung der Gegenblockade. Die Parteien konnten sich jedoch nicht verständigen, und die Verhandlungen wurden Ende 1943 wieder aufgenommen und mündeten am 24. März 1944 in ein neues Abkommen, das bis zum 30. Juni gültig war. Da die Deutschen ihre Haltung gelockert hatten, konnten die Schweizer Exporte nach Deutschland reduziert werden, obwohl das Reich weiterhin ebensoviel Kohle wie früher lieferte (150'000 t pro Monat) und seine Eisenlieferungen erhöhte. Auch die Gegenblockade wurde weiter gelockert. Die Lage der Schweiz änderte sich im September 1944. Nachdem die Alliierten ihre westliche Grenze erreicht hatten, konnten die Schweizer Verhandlungsführer ihrerseits Bedingungen stellen. Der Transit von deutschen Waren nach Italien wurde reduziert. Am 16. Februar 1945 beschloss der Bundesrat, die deutschen Guthaben in der Schweiz zu blockieren, den Transit von Kohle nach Italien zu unterbinden und dem Reich keinen Strom mehr zu liefern, bis dieses die noch ausstehenden 120'000 t Kohle geliefert hatte. Das Protokoll vom 28. Februar 1945 war das letzte, das zwischen dem Reich und der Schweiz abgeschlossen wurde; mit ihm wurde der wirtschaftliche Austausch zwischen den beiden Ländern stark reduziert. In den letzten Kriegsmonaten wurden die Lieferungen an Deutschland fast vollständig eingestellt. 1940-1945 lieferte die Schweiz an Deutschland für rund 2,5 Mrd. Franken verschiedene Produkte; der Wert der für die Kriegsführung notwendigen Güter darunter betrug 1,4 Mrd. Franken.

Zwischen dem 1. Dezember 1939 und dem 30. Juni 1945 betrieben die Schweizerische Nationalbank und die Reichsbank einen schwunghaften Goldhandel; sie tätigten insgesamt Käufe und Verkäufe in einem Volumen von ca. 1,211 Mrd. Franken. Der Gewinn der Nationalbank aus diesen Transaktionen betrug allerdings nur bescheidene 18,4 Mio. Franken. Ausserdem erhielt die Nationalbank von der Bank für den Internationalen Zahlungsausgleich in Basel und anderen Zentralbanken Gold im Wert von 428,4 Mio. Franken. Die Rolle, welche die Schweiz als internationale Finanzdrehscheibe spielte, war sicher mit ein Grund, weshalb die deutsche Führung auf einen Angriff auf die Schweiz verzichtete. Problematisch am Goldhandel war, dass sich die Schweizer Nationalbank nicht um die Herkunft des deutschen Goldes kümmerte. Dieses stammte zum Teil aus den Goldreserven der Zentralbanken der eroberten Länder (Holland, Belgien), zu einem – wahrscheinlich viel kleineren – Teil auch aus dem Besitz von Privatpersonen, die dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer gefallen waren. Die Frage, wieviel solches "Raub- und Totengold" in die Schweiz kam, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch offen.

Die Flüchtlinge

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten fanden Gegner und Opfer des Regimes Zuflucht in der Schweiz, die zu Beginn des Kriegs zwischen 7000 und 8000 Geflohene, darunter rund 5000 Juden, aufnahm. Da die Anzahl der jüdischen Flüchtlinge aus dem Reich nach dem Anschluss Österreichs stetig anstieg, führte Deutschland nach Verhandlungen mit der Schweiz 1938 den sogenannten Judenstempel ein, mit dem die Pässe deutscher und österreichischer Juden gekennzeichnet wurden. Die Erteilung eines Transit- oder Einreisevisums blieb damit den Schweizer Behörden überlassen. Diese Massnahme war sehr wirksam, zumal auch andere Staaten gemäss den Beschlüssen der Konferenz von Evian keine Juden aufnahmen, denen nicht ein Transitvisum gewährt worden war; sie führte zu einem starken Rückgang der Anzahl der jüdischen Flüchtlinge. Die Einführung des Visumzwanges für alle ein- und durchreisenden Ausländer am 5. September 1939 und der ergänzende Erlass vom 17. Oktober, der Bestimmungen über den Aufenthalt von Flüchtlingen in der Schweiz (Abgabepflicht, Internierung) und die Ausweisung von illegal Eingereisten enthielt, erschwerten die Einreise in die Schweiz erheblich. Mit der Zahl der Eroberungen des Reichs stieg auch die Zahl der Flüchtlinge (belgische und holländische Juden, aus Deutschland geflohene polnische Zwangsarbeiter usw.). Ab 1942 wurde die ohnehin restriktive Aufnahmepolitik noch einmal verschärft: Am 4. August beschloss der Bundesrat die Zurückweisung der sogenannten zivilen Flüchtlinge – auch die Juden fielen unter diese Kategorie – selbst dann, wenn diese physisch bedroht waren. Dieser Entscheid löste zahlreiche Proteste aus. Erst Mitte 1943, als sich der Sieg der Alliierten abzeichnete, wurde die Aufnahmepolitik liberaler. 1944 beherbergte die Schweiz über 70'000 Flüchtlinge, darunter ca. 22'000 Juden. Im Sommer 1944 wurden 2000 ungarische Juden aufgenommen, im Dezember 1944 und im Februar 1945 1200 bzw. 1400 Juden aus den Konzentrationslagern Bergen-Belsen und Theresienstadt. Im April und Mai 1944 kamen 50'000 Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten aus Deutschland in die Schweiz. Gemäss der 1999 publizierten Untersuchung der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg sind über die gesamte Kriegsdauer nachweisbar mindestens 24'000 Juden zurückgewiesen worden; diese Zahlen werden allerdings angefochten. Das IKRK nahm zwar im Reich seine traditionellen Aufgaben (Gefangene, Austausch, Informationen) wahr, es war jedoch – sowohl aus rechtlichen als auch aus materiellen Gründen – in Bezug auf die Judenverfolgung völlig machtlos. 1945 beschloss der Bundesrat, keine bekannten Nationalsozialisten und keine Mitglieder der SS aufzunehmen.

Die kulturellen Beziehungen

Plakat für die deutsche Erstaufführung von Igor Strawinskys Sacre du Printemps, dirigiert vom Waadtländer Ernest Ansermet in Berlin 1922 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne, Archives musicales; Fotografie Claude Bornand).
Plakat für die deutsche Erstaufführung von Igor Strawinskys Sacre du Printemps, dirigiert vom Waadtländer Ernest Ansermet in Berlin 1922 (Bibliothèque cantonale et universitaire Lausanne, Archives musicales; Fotografie Claude Bornand).

In der Zwischenkriegszeit war der Einfluss, der von deutschen Intellektuellen und Künstlern wie zum Beispiel Oswald Spengler, Martin Heidegger, Karl Jaspers, Rainer Maria Rilke oder der Bauhaus-Gruppe auf die Schweiz ausging, immer noch sehr stark; und auch die deutsche Theater- und Musikszene bzw. deutsche Filmproduktionen wurden durchaus beachtet. Ab 1933 distanzierten sich die Deutschschweizer zunehmend von der immer mehr von der nationalsozialistischen Propaganda instrumentalisierten Kunst des Dritten Reichs und versuchten, spezifisch schweizerische kulturelle Werte zu prägen (Geistige Landesverteidigung). Die deutschen Intellektuellen und Künstler, die in der Schweiz Zuflucht fanden, bereicherten das kulturelle Leben (Kabarett, Theater, Musik). Für die oppositionellen Kreise gegen den Nationalsozialismus in Deutschland spielten die von der Schweizer Presse und dem Schweizer Rundfunk verbreiteten Nachrichten und die Kritik, die schweizerische Intellektuelle wie zum Beispiel Karl Barth am Reich übten, eine wichtige Rolle.

Deutschland seit 1945

Von 1945 bis 1990

Unter alliiertem Druck

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs wurden die Souveränitätsrechte in Deutschland von den Siegermächten ausgeübt, die das Land in eine französische, eine britische, eine russische und eine amerikanische Besatzungszone aufteilten. Interessierte Drittländer wie die Schweiz konnten deshalb keine diplomatischen Beziehungen mehr zu Deutschland unterhalten und mussten sich mit konsularischen Vertretungen in den einzelnen Zonen begnügen. Nach der Kapitulation der deutschen Armee erklärte der Bundesrat am 8. Mai 1945, dass die Allierten auch dann, wenn sie die staatliche Gewalt in Deutschland vollständig übernähmen, nicht die Rechtsnachfolger des Reichs seien; obwohl dieses keine Regierung mehr habe, bestünde Deutschland als Staat gesamthaft auch weiterhin fort. Damit wollte er verhindern, dass die Sieger im Namen Deutschlands Forderungen an die Schweiz stellten, ohne sich gleichzeitig zu verpflichten, die Schulden des Reichs gegenüber der Schweiz abzugelten. Die Schweiz sorgte für die Bestellung von Agenten ohne offiziellen Charakter, welche die deutschen Interessen in der Schweiz (Fonds der Reichsbank, Liquidation der NS-Organisationen, Führung der Geschäfte für die deutsche Kolonie) treuhänderisch wahrten. Erst nach langen und zähen Verhandlungen mit den Alliierten, in denen vor allem die Amerikaner grossen Druck ausübten, unterzeichnete die Eidgenossenschaft am 26. Mai 1946 das Washingtoner Abkommen, mit dem sie die Hälfte der in der Schweiz beschlagnahmten deutschen Vermögenswerte den Alliierten aushändigte. Die andere Hälfte durfte sie als Ausgleich für die deutschen Schulden behalten; allerdings wurde den betroffenen Deutschen ein Entschädigungsanspruch zugestanden. Weitere Klauseln des Abkommens drehten sich um das Gold, das die Schweizerische Nationalbank von Deutschland erworben hatte. Die Alliierten hatten die neutralen Länder schon im Januar 1943 darauf hingewiesen, dass sie diesen Handel als unrechtmässig betrachteten. Als Folge dieser Bestimmungen trat die Schweiz den Alliierten schliesslich 250 Mio. Franken in Gold ab; als Gegenleistung wurden die während des Krieges eingefrorenen schweizerischen Guthaben in den Vereinigten Staaten von ca. 5,3 Mrd. Franken freigegeben und die von England und den Vereinigten Staaten geführten "schwarzen Listen" schweizerischer Unternehmen aufgehoben.

Erst nach der deutschen Kapitulation setzte der Bundesrat der Tätigkeit der nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz ein Ende. Angehörige der NSDAP und ihrer verschiedenen Gliederungen mussten die Schweiz verlassen. Zahlreiche Deutsche verbüssten Haftstrafen wegen Landesverrats in schweizerischen Gefängnissen. Schweizer, die für Deutschland Wehrdienst geleistet hatten, wurden nach ihrer Rückkehr verurteilt. Um zu verhindern, dass Kriegsverbrecher in die Schweiz flüchteten, und zum Schutz vor antidemokratischen Elementen aus Deutschland führte die Schweiz eine Visapflicht für deutsche Staatsbürger ein, die 1953 wieder abgeschafft wurde.

Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland

Auch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) 1949 blieb Bern seiner nach Kriegsende eingeschlagenen Linie treu, gemäss der Deutschland eine Einheit bildete. Am 16. März 1951 leitete die Schweiz die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik ein. Sie anerkannte deren Souveränität über deren Territorium, nicht aber deren – von den Westmächten unterstützten – Anspruch, die deutsche Nation allein zu vertreten. Entscheidend für die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen war die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, als Rechtsnachfolger des Dritten Reichs für dessen Verpflichtungen einzustehen und die noch ausstehenden Schulden gegenüber der Schweiz grösstenteils zu begleichen. Aus neutralitätspolitischen Gründen und auch wegen der Schlüsselrolle, die Deutschland im Kalten Krieg zukam, hätte der Bundesrat damals gerne auch diplomatische Beziehungen zur DDR angebahnt. Diese Erwägungen gab er jedoch nach der allmählichen Normalisierung der wirtschaftlichen und politischen Kontakte zur Bundesrepublik sowie der offiziellen Formulierung der Hallstein-Doktrin 1955 – gemäss dieser brach die Bundesrepublik die diplomatischen Beziehungen zu jedem Land ab, das solche mit der DDR pflegte – wieder auf.

1952 handelten die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen aus, das 1953 in Kraft trat. Demnach zahlte diese der Schweiz 650 Mio. Franken zur Begleichung der dem Dritten Reich gewährten Kredite, von denen die Schweiz allerdings 200 Mio. in Deutschland investieren musste. Ausserdem gab die Schweiz die blockierten deutschen Vermögenswerte wieder frei. 1953 wurden die inoffiziellen deutschen Interessenvertretungen, die seit 1945 bestanden, aufgelöst und durch reguläre diplomatische und konsularische Vertretungen Deutschlands in der Schweiz ersetzt. Anstelle der diplomatischen Gesandtschaft bei der Alliierten Hohen Kommission trat schon 1951 die schweizerische Gesandtschaft in Köln, die 1957 zur Botschaft aufgewertet und 1977 nach Bonn verlegt wurde.

Zum ersten bevollmächtigten Gesandten der Schweiz in der Bundesrepublik Deutschland wurde Alfred Huber ernannt. Als erster deutscher Gesandter in der Schweiz amtierte Friedrich Holzapfel (1952-1958). Er war ein Aussenseiter im Auswärtigen Amt und erregte in der Schweiz Anstoss, weil er sich für die zu Haftstrafen verurteilten deutschen Nationalsozialisten einsetzte. Sein Nachfolger Ernst Günther Mohr geriet in den Verdacht, an der Deportation holländischer Juden beteiligt gewesen zu sein. Dem Freiherrn Wolfgang von Welck, der 1963 Mohr ablöste, wurde seine Mitgliedschaft bei der NSDAP vorgeworfen. Der Bundesrat setzte sich über diese Anschuldigungen hinweg und erteilte trotz heftiger Pressekampagnen jeweils das Agrément. Erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre flauten die Angriffe auf Deutschlands diplomatische Vertreter in der Schweiz ab und der Schatten, den die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands warf, begann sich langsam zu verflüchtigen.

Bilaterale Abkommen und Grenzfragen

Im November 1949 erlangte die Bundesrepublik teilweise ihre Souveränität; sie durfte von diesem Zeitpunkt an aus eigener Initiative aussenpolitische Verträge vereinbaren, die allerdings erst nach der Zustimmung durch die Alliierte Hohe Kommission in Kraft gesetzt werden konnten. Seit diesem Zeitpunkt trafen sich deutsche und schweizerische Regierungsvertreter wieder regelmässig, um Verträge vorzubereiten. 1950 wurde ein Handelsabkommen abgeschlossen. Andere Abkommen betrafen die Bereiche Aufenthalt, Niederlassung, Fürsorge, wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit, das Zollwesen, den Grenzverkehr, das Erb-, Patent- und Urheberrecht, die Schifffahrt auf Rhein und Bodensee (mit Österreich), zollrechtliche Bestimmungen bezüglich der Enklave Büsingen, Probleme der Doppelbesteuerung sowie die gegenseitige Katastrophenhilfe. Im Juni 1961 wurde nach jahrelangen Verhandlungen ein Vertrag unterzeichnet, der die Entschädigung der schweizerischen Opfer des Nationalsozialismus regelte und die Bundesrepublik zur Zahlung von 10 Mio. Deutsche Mark an die Eidgenossenschaft verpflichtete.

Diskutiert wurden zwischen den beiden Ländern auch immer wieder länderübergreifende umweltpolitische Fragen; seit 1963 auch im Rahmen der damals gegründeten Regio Basiliensis. Bereits in den 1950er Jahren war es zu Auseinandersetzungen über die von aargauischen Aluminiumfabriken verursachten Immissionen in der badischen Nachbarschaft gekommen. Probleme ergaben sich auch aus der Massierung von Kernkraftwerken am Oberrhein, den Abwässern der elsässischen Kaligruben, einem Öllagerprojekt am Calanda sowie den Auswirkungen des Flughafenbetriebes von Zürich-Kloten auf die deutsche Nachbarschaft. Nachdem es am 1. November 1986 im Lager Schweizerhalle des Chemiekonzerns Sandoz zu einem verheerenden Brand gekommen war, genehmigten 1987 die Rheinuferstaaten in Strassburg einen langfristigen Stufenplan zur Sanierung des Rheins.

Der einzige ernstere Konflikt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz entstand aus der Einführung der in der Schweiz seit 1984 erhobenen Abgabe auf den Schwerverkehr bzw. derjenigen der Autobahnvignette 1985. Schon zur Zeit der Weimarer Republik hatten sich die Schweiz und Deutschland verpflichtet, keine Strassenzölle- und gebühren zu erheben. Die Bundesrepublik antwortete mit einer niedrigen Kraftfahrsteuer für Lastwagen aus der Schweiz, die erst 1993 wieder dahinfiel. Die Politik, mit der die Schweiz den ständig zunehmenden Transitverkehr in den Griff zu bekommen versucht, führte auch Ende des 20. Jahrhunderts noch gelegentlich zu Verstimmungen der deutschen Regierung.

Helmut Hubacher, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (links), 1987 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, Actualités suisses Lausanne).
Helmut Hubacher, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, mit dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (links), 1987 (Schweizerisches Nationalmuseum, Zürich, Actualités suisses Lausanne). […]

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die bilateralen Abkommen über politische und wirtschaftliche Fragen immer mehr verdrängt durch multilaterale Vertragswerke von europa- oder gar weltweiter Bedeutung (Europäische Zahlungsunion, OECD, Gatt, Efta, OSZE, die verschiedenen europäischen Gemeinschaften bis zur EU). 1989 haben zum Beispiel mehrere Staaten eine Rahmenübereinkunft zum Schutz der Alpen, die sogenannte Alpenkonvention, unterzeichnet. Obwohl noch Differenzen über die in der Schweiz zugelassene Tonnage für Lastwagen (28 oder 40 t) bestanden, wurde die Zustimmung der Schweiz zum Ausbau der Eisenbahnlinien durch die Alpen (NEAT) 1992 in der Bundesrepublik als Zeichen dafür gewertet, dass die Schweiz sich gegenüber Europa öffne. Umgekehrt war die Enttäuschung über den negativen Ausgang der EWR-Abstimmung 1992 in Deutschland deutlich zu spüren. Die Annahme der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU durch Volk und Stände am 21. Mai 2000 wurde in Deutschland positiv aufgenommen.

Offizielle Staatsbesuche fanden erst statt, nachdem die Bundesrepublik Deutschland ihre volle Souveränität 1955 wiedererlangt hatte. Als erster hoher Repräsentant des deutschen Staates seit Kaiser Wilhelm II. kam 1957 Bundespräsident Theodor Heuss in die Schweiz. Ihm folgten sämtliche späteren Bundespräsidenten: Heinrich Lübke 1961, Gustav Heinemann 1972, Walter Scheel 1977, Karl Carstens 1982, Richard von Weizsäcker 1987, Roman Herzog 1995 und Johannes Rau 2000. Auch auf Regierungsebene intensivierten sich die Kontakte; so besuchten die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl mehrfach die Schweiz.

Deutschland als grösster Handelspartner

Die regen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, die 1945 abrupt abgebrochen waren, mussten zunächst neu aufgebaut werden. Ab 1946 unterzeichnete die Schweiz Abkommen über Güteraustausch, finanzielle Transaktionen und Verkehr mit den einzelnen Besatzungsmächten für die jeweiligen Zonen. Zwar vermittelte schon die Ankündigung des Marshall-Plans, an dem sich die Schweiz ebenfalls beteiligte, im Juni 1947 neue Impulse; der eigentliche Durchbruch erfolgte aber erst mit der im Juni 1948 in den drei Westzonen durchgeführten Währungsreform, welche mit der Deutschen Mark eine neue stabile Zahlungseinheit schuf. Das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu einer liberalen Wirtschaftspolitik, die vor allem Ludwig Erhard vertrat, war die Voraussetzung für eine prosperierende Aussenhandelspolitik. 1954 schlossen die beiden Länder einen Handelsvertrag, der erst 1977 auslief. Seitdem führt ein schweizerisch-deutscher Ausschuss die Geschäfte weiter.

Aussenhandel der Schweiz mit Deutschland 1890-2015
Aussenhandel der Schweiz mit Deutschland 1890-2015 […]

Schon in den frühen 1950er Jahren war Deutschland wie vor dem Krieg wieder zum bedeutendsten Handelspartner der Schweiz geworden; dabei war die Handelsbilanz für die Schweiz stark passiv. Die Eidgenossenschaft rangierte in der deutschen Zahlungsbilanz jeweils auf den Plätzen sieben bis neun; sie war während Jahren ein wichtigerer Partner als Japan oder die Sowjetunion. 1957 führte die Schweiz Güter aus der Bundesrepublik für mehr als 2 Mrd. Franken ein, während das Volumen der schweizerischen Ausfuhren in die Bundesrepublik 960 Mio. Franken betrug. Der Anteil der deutschen Importe am gesamten Importvolumen der Schweiz stieg von ca. 6% 1948 auf knapp 34% 1990 an. 2002 importierte die Schweiz Produkte im Wert von mehr als 40 Mrd. Franken aus Deutschland, während sie Güter für mehr als 27 Mrd. Franken nach Deutschland exportierte. Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Konzernen aus beiden Ländern in jeglicher Form, Investitionen und Firmenkäufe im jeweils anderen Land und auch Fusionen wie zum Beispiel diejenige der Berner Versicherung und der Elvia mit der deutschen Allianzversicherung sind in allen Wirtschaftsbranchen an der Tagesordnung. Eine grosse Rolle spielen dabei die Handelskammer Deutschland-Schweiz in Zürich (als Deutsche Handelskammer in der Schweiz 1912 in Genf gegründet) und die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Vereinigung Schweizer Unternehmer in Deutschland.

Aussenhandel der Schweiz mit Deutschland 1938-1995a

 Importe (in Mio. Fr.)Exporte (in Mio. Fr.)
JahrBRDDDRTotalAnteil am gesamten ImportvolumenBRDDDRTotalAnteil am gesamten Exportvolumen
1938  373,123,2%  206,115,7%
1939  440,423,3%  191,514,8%
1942  660,332,2%  655,641,7%
1943  532,230,8%  598,436,7%
1944  433,436,5%  293,625,9%
1945  54,34,4%  11,20,8%
1946  45,41,3%  7,90,3%
1947  133,42,8%  15,50,5%
1948  322,76,4%  68,92,0%
1949b  331,98,7%  313,49,1%
1950b  497,211,0%  362,29,3%
1955b1 507,331,21 538,524,0%755,034,3789,314,0%
19602 840,725,82 866,529,7%1 492,624,61 517,218,7%
19654 795,433,04 828,430,3%2 203,436,12 239,517,4%
19708 349,258,58 407,730,2%3 288,6110,83 399,415,4%
19759 552,959,89 612,728,1%4 944,2185,45 129,615,3%
198016 766,368,516 834,827,7%9 749,8220,39 970,120,1%
198522 912,7133,323 046,030,8%13 103,2189,813 293,020,0%
1990  32 634,233,8%  19 512,522,1%
1995  31 855,133,7%  22 912,523,8%

a 1939-44 inkl. Österreich

b ohne Saarland

Aussenhandel der Schweiz mit Deutschland 1938-1995 -  Statistisches Jahrbuch der Schweiz

Migrationsbewegungen

Die zwei Weltkriege und die anschliessende Teilung Deutschlands hatten erhebliche Auswirkungen auf die Migrationsbewegungen. 219'530 Deutsche waren in der Schweiz 1910 niedergelassen; diese Zahl sank auf 134'561 im Jahr 1930 und schliesslich auf 55'437 im Jahr 1950. 2000 lebten 110'789 deutsche Staatsangehörige in der Schweiz, davon zwei Drittel im Zuständigkeitsbereich des Generalkonsulats Zürich. Eine organisierte zentrale Vereinigung hat sich nicht gebildet. Die Deutschen in der Schweiz sind meist in losen, aufgrund von verschiedenen Kriterien gebildeten Gruppen (die Herkunft aus einem bestimmten Bundesland wie etwa Sachsen oder Hamburg oder die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe wie zum Beispiel ein Kreis deutscher Künstler oder der Club Neuchâtel in der Westschweiz) zusammengeschlossen.

Analog ging auch die Zahl der in Deutschland lebenden Schweizer seit der Zwischenkriegszeit zurück. Diese fühlten sich ab 1938 von ihrer diplomatischen Vertretung im Stich gelassen und waren mit den Folgen einer gegenüber der Schweiz oft aggressiven Meinungsmache konfrontiert. 1928 lebten noch 55'800, 1945 nur noch 20'000 Schweizer in Deutschland. Von den Rückkehrern in die Schweiz stammten besonders viele aus der sowjetischen Besatzungszone. 1956 hielten sich noch 18'000 Schweizer ständig in der Bundesrepublik Deutschland auf. 1948 beschlossen die Delegierten der ca. 40 Schweizervereine die Einrichtung einer jährlich tagenden Präsidentenkonferenz. Sie befasste sich mit den zentralen Anliegen der Schweizer in Deutschland, wobei der Themenkreis von der AHV und den anfänglichen Schwierigkeiten bei der Verbindungsaufnahme mit der Heimat bis zu Doppelbesteuerung und Sozialabkommen reichte. Die schweizerischen Opfer des nationalsozialistischen Regimes kämpften um eine Entschädigung auf der Basis des Washingtoner Abkommens; 1957 gab die Schweiz mit einem Bundesbeschluss schliesslich einen Kredit von 15 Mio. Franken zur Vorauszahlung solcher Wiedergutmachungsleistungen frei, weil die entsprechenden Verhandlungen mit der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt noch im Gange waren. Ein Problem war auch die Überalterung der in Deutschland lebenden schweizerischen Bevölkerung, weil in der Nachkriegszeit so gut wie keine jungen Schweizer nach Deutschland auswanderten. Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nahm die Emigration wieder zu. 1986 zählte die Schweizer Kolonie in Deutschland 48'000 Personen; davon waren etwa die Hälfte Doppelbürger. Nach der Wiedervereinigung stieg die Zahl der Schweizer Bürger nochmals an; von den 67'728 im Jahr 2000 in Deutschland gezählten Schweizern waren ca. 60% Doppelbürger.

Kulturelle Beziehungen

Langfristig waren die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Diktatur auf kulturellem Gebiet. Es kam in der deutschen Schweiz zu einem eigentlichen Bruch der Beziehungen, die nie mehr so eng wie vor 1933 werden sollten. Die gemeinsame Sprache zwischen Deutschschweizern und Deutschen wirkte sich jetzt eher hemmend als verbindend aus; in der Schweiz betonte man die Unterschiede gegenüber Deutschland anstatt der Gemeinsamkeiten.

Trotzdem versuchten schweizerische Vereine und Institutionen auf privater Basis sowie einzelne Intellektuelle schon unmittelbar nach Kriegsende, Deutschland beim Aufbau einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu unterstützen. Ein Teil der in die Schweiz geflohenen deutschen Künstler und Intellektuellen beeinflussten ihrerseits die Schweizer Literatur- und Theaterszene. Seit den 1950er Jahren arbeiteten eine Reihe von bedeutenden Schriftstellern, Künstlern, Journalisten und Gelehrten in beiden Ländern. Erst die 1968er-Bewegung markierte einen Wendepunkt; da die kritische Aufarbeitung der Beziehungen zum Dritten Reich jetzt einsetzte – diese war auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch keineswegs abgeschlossen – wurden auch die Vorbehalte gegenüber Deutschland nach und nach abgebaut; dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass vermehrt wieder deutsche Professoren an schweizerische Universitäten berufen wurden. 1995 kam jeder vierte oder fünfte Ordinarius an den Universitäten Zürich, Basel und Bern aus Deutschland; und 75% aller ausländischen Professoren stammten aus Deutschland. Diese überaus starke Vertretung hat in der Westschweiz keine Entsprechung. 1975 waren 1031, 1985 1203 und 1995 1626 Schweizer Studenten an deutschen Universitäten eingeschrieben. An schweizerischen Universitäten waren dagegen 1985 etwas mehr als 2000 Deutsche immatrikuliert, die meisten in Basel, wo sie mehr als die Hälfte der ausländischen Studenten stellten. Seit einigen Jahrzehnten findet auch ein Schüleraustausch zwischen der französischen Schweiz und Deutschland statt.

Schweizer Bücher und Zeitungen sind in Deutschland weit verbreitet, und die Werke zahlreicher schweizerischer Autoren erscheinen bei deutschen Verlagen; umgekehrt werden auch deutsche Presseerzeugnisse, darunter auch wöchentlich erscheinende Magazine wie "Der Spiegel" oder "Focus" in der Schweiz viel gelesen. Autoren wie Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt oder Peter Bichsel waren in Deutschland ebenso populär wie ihre Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert, Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer; unbekannt blieben dagegen die Autoren aus der Westschweiz. Die Musiker Arthur Honegger und Frank Martin, die Künstler Alberto Giacometti, Max Bill, Jean Tinguely oder Gelehrte wie Carl Gustav Jung fanden ebenfalls grosse Beachtung. Deutsche Dirigenten leiteten, oft während mehrerer Jahre, schweizerische Orchester, so zum Beispiel Wolfgang Sawallisch und Horst Stein das Orchestre de la Suisse Romande. Die Pro Helvetia organisierte kulturelle Anlässe für die Schweiz in Deutschland. Neben dieser Stiftung bemühen sich noch andere Vereine und Gesellschaften um den kulturellen Austausch.

Trotz der Vielfältigkeit der Beziehungen zwischen den beiden Ländern blieben diese immer ambivalent, weil sich die Deutschschweizer aufgrund ihres speziellen Dialekts, der auch auf das sogenannte "Schriftdeutsch" abfärbt, immer zurückgesetzt fühlten. Ausserhalb der kulturellen und intellektuellen Eliten fehlt das Bewusstsein, zu einem grösseren Kulturkreis zu gehören. Die Vorbehalte vieler Deutschschweizer gegenüber der Europäischen Union gründen bis zu einem gewissen Grad auch auf den Ängsten, von dem grösseren Nachbarn "aufgesogen" zu werden.

Nach der Wiedervereinigung

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands; am 3. Oktober 1990 erfolgte die Wiedervereinigung. Der Bundesrat betrachtete sie als Zeichen, welches das Ende der politischen Spaltung Europas ankündige. Nachdem der Bundestag im Juni 1991 die Verlegung des Regierungssitzes und des Parlaments nach Berlin beschlossen hatte, wurde das dortige schweizerische Generalkonsulat zu einer Aussenstelle der Botschaft umgewandelt, die sich auf kulturelle Fragen spezialisierte, während die Botschaft vorderhand noch in Bonn blieb. 1991 wurde ein neues schweizerisches Generalkonsulat in Dresden eröffnet. Seit 2000 ist die Schweizer Botschaft in dem restaurierten Gebäude der früheren Gesandtschaft in Berlin untergebracht.

Während im politischen Bereich die Bundesrepublik Deutschland die bestehenden vertraglichen Verpflichtungen übernahm, zeichneten sich im kulturellen und ökonomischen Bereich einige markante Veränderungen ab. Die Attraktivität Berlins als Zentrum für Literatur, Theater, Musik und bildende Künste nahm noch zu. Das wiedervereinigte Deutschland zog mehr Studenten aus der Schweiz an, und zahlreiche Schweizer erhielten Professuren an Universitäten der früheren Deutschen Demokratischen Republik. Wirtschaftlich hat sich die Schweiz nach der Wende von 1989/1990 im neuen Markt in Ostdeutschland mehr engagiert als die meisten anderen westlichen Länder und dort erheblich investiert. Ca. 140 Unternehmen gingen anlässlich der Privatisierung, die von der Treuhandstelle geleitet wurden, in schweizerischen Besitz über.

In der Nachkriegszeit galt die Schweiz in der Bundesrepublik als Vorbild. Mit der Festigung der Demokratie in den letzten fünfzig Jahren wuchs im Westen des geteilten Landes das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Institutionen. Die Wiedervereinigung hat die traditionellen Bindungen der "alten" Bundesrepublik nicht gelockert; sie stand weiter für ihre europäischen und transatlantischen Verpflichtungen ein. Das vergrösserte Deutschland hielt trotz immenser Schwierigkeiten bei dem in kürzester Zeit erfolgten Zusammenschluss mit den neuen Bundesländern seine klare Option für den Westen aufrecht und setzte das nach 1945 entstandene gute nachbarliche Verhältnis zur Schweiz fort; insbesondere stiess die Schweiz in Deutschland stets auf Verständnis bezüglich der besonders gearteten Probleme, die sich für sie aus dem Prozess der europäischen Integration ergaben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts trübten allerdings mehrere Meinungsverschiedenheiten (Lärmemissionen des Flughafens Kloten, Strassentransit, das die Steuerflucht begünstigende schweizerische Bankgeheimnis) die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten.

Quellen und Literatur

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Allgemeines
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  • H. Ostermann, Die dt.-schweiz. Handelsbeziehungen seit 1870, 1934
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  • K. Urner, Die Deutschen in der Schweiz, 1976
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  • A. Häsler, Das Boot ist voll, 1967
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  • J. Fink, Die Schweiz aus der Sicht des Dritten Reiches 1933-1945, 1985
  • W. Rings, Raubgold aus Deutschland, 1985
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  • Veröff. UEK
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  • M. Schmitz, Westdeutschland und die Schweiz nach dem Krieg. Die Neuformierung der bilateralen Beziehungen 1945-1952, 2003
  • Die Schweiz und Deutschland 1945-1961, hg. von A. Fleury et al., 2004
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Jean-Jacques Langendorf; Alfred Cattani: "Deutschland", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 29.10.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/003352/2015-10-29/, konsultiert am 22.11.2024.
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