Hinter Fremdenfeindlichkeit, auch Xenophobie genannt, verbirgt sich sozialpsychologisch gesehen oftmals die Angst vor dem Anderen, dem Fremden, die sich in Misstrauen, Abwehr und Feindschaft vor allem gegenüber Ausländern ausdrückt und zu Diskriminierungen führt. Dabei werden negative Vorstellungen vom Fremden konstruiert und als Gegenstück zum vorteilhaften Selbstbild eingesetzt. An diesem Konstruktionsprozess sind politische Akteure und gesellschaftliche Eliten massgeblich beteiligt. Ferner bildet Fremdenfeindlichkeit oftmals den Ausgangspunkt für Rassismus und Antisemitismus, die sich auf pseudowissenschaftliche Theorien stützen und im Gegensatz zu Fremdenfeindlichkeit mit weltanschaulichem Anspruch auftreten und deshalb als Ideologien gelten.
In der Schweiz manifestiert sich Fremdenfeindlichkeit gesellschaftlich und politisch seit Anfang des 20. Jahrhunderts vorwiegend im sogenannten Überfremdungsdiskurs. Der Begriff Überfremdung weist hier eine für Europa einmalige Kontinuität auf und appelliert als fremdenfeindliches Abwehrsyndrom an Emotionen und Ängste in der Bevölkerung. Im Sinne eines soziokulturellen Codes zielt die Überfremdungsthese auf die Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen, die aufgrund staatsbürgerlicher, kultureller und sozialer Kriterien identifiziert werden. Fremdenfeindlichkeit äussert sich jedoch nicht nur diskursiv und in Aufmerksamkeit erregenden, vorwiegend von Männern ausgeübten Gewalttaten gegenüber Migranten und Migrantinnen, sondern häufig auch im Alltag in unspektakulärer, subtiler Form.
Im Vergleich zum Umgang mit dem Fremden in Mittelalter und früher Neuzeit nahm die Fremdenfeindlichkeit im Zuge der Bildung moderner Nationalstaaten im 19. Jahrhundert neue Dimensionen an. Insbesondere die Betonung nationalstaatlicher Zugehörigkeit und die exklusive Bedeutung von Nationalität und Staatsbürgerschaft begannen nachhaltige Wirkung zu zeitigen, wobei in der Schweiz aufgrund der ausgeprägten föderalistischen Struktur subnationale Verbände wie Kantone und Gemeinden bei der Erteilung des Bürgerrechtes eine wichtige Rolle spielten – und noch immer spielen. Im Bundesstaat der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verknüpfte sich Fremdenfeindlichkeit zum Beispiel mit Antisemitismus, was sich unter anderem in den antisemitischen Vorurteilen bei der Abstimmungskampagne für die Volksinitiative zum Schächtverbot (1893) zeigte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es ausserdem zu fremdenfeindlich motivierten Angriffen gegen italienische Arbeitermigranten (1893 Käfigturmkrawall in Bern, 1896 Italienerkrawall in Zürich).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte die erfolgreiche Karriere des Begriffs der Überfremdung ein. Zunächst war es die politische und gesellschaftliche Elite, welche die sogenannte Ausländerfrage thematisierte und vor der geistig-kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bedrohung des Schweizerischen durch Fremde und Fremdes warnte. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges fand der Begriff Überfremdung auch Eingang in die Amtssprache. Die 1917 geschaffene Eidgenössische Fremdenpolizei entwickelte sich in der Folge zum wichtigen staatlichen Instrument im Kampf gegen vermeintliche Überfremdung.
Der Ausländeranteil verringerte sich in der Schweiz zwischen 1910 (14,7%) und 1930 (8,7%) stetig. Gleichzeitig diffundierte die Überfremdungsthese erfolgreich in eine breite Öffentlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die angebliche Überfremdung in Zeitungen und politischen Debatten zur nationalen Bedrohung hochstilisiert, der man auch die vermeintlich bolschewistische Gefahr zuschlug. 1920 wurde erstmals eine fremdenfeindliche eidgenössische Volksinitiative eingereicht. Die politischen Behörden bemühten sich verstärkt um eine restriktive und selektive Migrationspolitik, was sich vor allem in Einschränkungen beim Einbürgerungsrecht ausdrückte. Die Einbürgerung setzte nun die kulturelle Assimilation voraus und galt somit nicht mehr als Mittel der Integrationspolitik, sondern als Zeichen der Aufnahme in die "nationale Volksgemeinschaft".
Die Flüchtlingspolitik in den 1930er und 1940er Jahren
Autorin/Autor:
Damir Skenderovic
In den 1930er Jahren konsolidierte sich der Überfremdungsdiskurs und spielte insbesondere in der Flüchtlingspolitik eine zentrale Rolle (Flüchtlinge). Zudem formierten sich in der Frontenbewegung erstmals politische Gruppierungen, die den Schwerpunkt auf eine radikal fremdenfeindliche Politik legten. Auch in der Schweiz verschafften sich Anhänger des biologistischen Rassismus und der sogenannten Rassenhygiene erfolgreich Gehör, unter anderem der Anthropologe Otto Schlaginhaufen und der Psychiater Ernst Rüdin.
Die Geistige Landesverteidigung trug als homogenisierende Gemeinschaftsideologie zur Festigung des Überfremdungsdiskurses bei. Als Abwehrkonzept gegen die totalitären Nachbarstaaten konzipiert, besass sie eine kohäsive und identitätsbildende Funktion für die schweizerische Gesellschaft, führte aber auch zur Ausgrenzung der Ausländer als Nicht-Mitglieder der "nationalen Volksgemeinschaft". In manchen Leitideen und Konzepten der Geistigen Landesverteidigung verdichteten sich jene Inhalte des Überfremdungsdiskurses, die das Schweizerische im Gegensatz zum Fremden konstituierten. Von der Fremdenfeindlichkeit besonders betroffen waren jüdische und vor allem ostjüdische Flüchtlinge, die aufgrund der Verbindung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit als doppelt fremd galten. Nachdem bereits in den 1920er Jahren einzelne Kantone diskriminierende Massnahmen gegen Juden (u.a. Einreise- und Arbeitsbeschränkungen sowie Einbürgerungserschwerungen) ergriffen hatten, setzte sich nun auch auf eidgenössischer Ebene eine Abwehrpolitik gegen Juden durch, die in die restriktive schweizerische Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs mündete (Asyl).
Die Überfremdungsbewegung seit den 1960er Jahren
Autorin/Autor:
Damir Skenderovic
In den 1960er Jahren erfuhr die Überfremdungsthese eine Revitalisierung insbesondere in politischen Diskursen und auch bei den Behörden, wie der 1964 veröffentlichte offizielle Bericht "Das Problem der ausländischen Arbeitskräfte" verdeutlicht. Der politische Konsens schloss auch weite Teile der Sozialdemokratie und Gewerkschaften ein, die bereits in den 1950er Jahren vor der Arbeitsmigration aus Italien gewarnt hatten. Auffallend ist, dass es in den 1960er Jahren in ausländerpolitischen Debatten allgemein zu einer Verlagerung von wirtschaftlichen und konjunkturpolitischen zu kulturellen und staatspolitischen Argumenten kam; die schweizerische Nation, so hiess es, drohe wegen der "Überschwemmung" mit Ausländern ihre Identität zu verlieren.
Karikatur von Werner Büchi,erschienen im Nebelspalter, 1970, Nr. 7.
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Die sich Anfang der 1960er Jahre formierende sogenannte Überfremdungsbewegung, die in Westeuropa als Vorreiterin fremdenfeindlicher Parteien gilt, übte in den nächsten Jahrzehnten einen beträchtlichen Einfluss auf die schweizerische Migrationspolitik aus. Als oppositionelle Kraft radikalisierte sie ausländerpolitische Forderungen, indem sie ursprünglich das Misstrauen vor allem gegen die italienische Migrationsgruppe anheizte. Ende der 1960er Jahre erreichte die 1961 gegründete Nationale Aktion (seit 1990 Schweizer Demokraten) eine breite Mobilisierung mit der sogenannten Schwarzenbach-Initiative, die 1970 nur knapp verworfen wurde (46% Ja-Stimmen, Annahme in 6 2/2 Ständen). In der Folge vermochten die Überfremdungsparteien (Nationale Aktion, Republikanische Bewegung, Vigilance) in Parlamenten, Kommissionen und insbesondere mit Volksinitiativen Druck auf die behördliche Migrationspolitik auszuüben. Zwischen 1965 und 1990 reichten sie acht eidgenössische Volksinitiativen ein. Obwohl die Splitterparteien in den eidgenössischen Wahlen über eine relativ kleine Wählerschaft verfügten (1971-1999: 2-9%), konnten sie in einzelnen Volksabstimmungen auf einen beachtlichen Rückhalt zählen.
Aufschwung seit den 1980er Jahren
Autorin/Autor:
Damir Skenderovic
In den 1980er Jahren verlagerte sich der Überfremdungsdiskurs in die Asylpolitik, und die Fremdenfeindlichkeit richtete sich von nun an vor allem gegen Asylsuchende. Allgemein ist festzustellen, dass seit den 1980er Jahren kulturalistische Argumentationen in asyl- und ausländerpolitischen Debatten weit verbreitet sind. Dabei wird vermehrt auf die kulturelle Distanz und die angeblich unausweichlichen Kulturkonflikte zwischen Migranten und Einheimischen hingewiesen. In den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts richtete sich die Fremdenfeindlichkeit besonders gegen Menschen aus aussereuropäischen Ländern und dem ehemaligen Jugoslawien, wobei auch Stellungnahmen von politischen Parteien und Behörden der skeptischen Haltung gegenüber den Fremden Vorschub leisteten. Wie Umfragen Mitte der 1990er Jahre zeigten, forderten 46% der schweizerischen Bevölkerung staatliche Massnahmen für eine Reduktion des Ausländeranteils. Als radikaler Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit tritt die ausserparlamentarische extreme Rechte seit Mitte der 1980er Jahre in der Schweiz wie in anderen westeuropäischen Staaten vermehrt öffentlich in Erscheinung und verbreitet dabei rassistisches Gedankengut. Zudem erregen Gewalttaten gegen Asylsuchende regelmässig Aufsehen.
Plakat vonHans-Rudolf Abächerlifür die Zürcher Sektion der SVP, 1999 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
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Seit Mitte der 1980er Jahre ist ein parteipolitischer Wandel der Überfremdungsparteien festzustellen. Zunächst fand eine Diversifikation der fremdenfeindlichen Splitterparteien statt, als neben der Nationalen Aktion die Autopartei (1985, seit 1994 Freiheits-Partei) und die Lega dei Ticinesi (1991) als neu gegründete Parteien hinzukamen. In den 1990er Jahren waren es dann Teile der Schweizerischen Volkpartei (SVP) und insbesondere deren Zürcher Kantonalpartei, die das Erbe der Überfremdungsbewegung übernahmen und deren fremdenfeindliche Politik weiterführten. 1993-2010 setzte sich die fremdenfeindliche Position auf eidgenössischer Ebene in 11 von 18 ausländerpolitischen Abstimmungen durch. Mit dem Antirassismusgesetz von 1995 soll rassistischen Tendenzen und so auch Fremdenfeindlichkeit resoluter entgegengetreten werden.
Damir Skenderovic: "Fremdenfeindlichkeit", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 05.05.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016529/2015-05-05/, konsultiert am 24.11.2024.