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Frontenbewegung

Mehrere politische Gruppierungen und Faktionen der 1930er Jahre verwendeten in ihrem Parteinamen die Kampfbereitschaft demonstrierende Bezeichnung «Front», weshalb sich in der Geschichtsforschung die Sammelbegriffe Frontenbewegung und Frontismus zur Charakterisierung dieser sehr heterogenen Organisationen einbürgerten, die plötzlich auftauchten, untereinander fusionierten, sich aufspalteten und wieder verschwanden (Rechtsradikalismus). Die schweizerische Frontenbewegung hatte vor allem zwei Ursachen: Im Innern ein wachsendes Unbehagen über den Parteienzwist zwischen rechts und links und über die Weltwirtschaftskrise, von Aussen die Verführungskraft von Faschismus und Nationalsozialismus. Die innenpolitische Krise legte ein Versagen der liberalen Zivilisation nahe, während sich von Aussen eine «Zeitenwende» anzukünden schien. Dies war die Stimmungslage, als im «Frontenfrühling» 1933 der Ruf nach Systemveränderung und politischer Erneuerung ertönte.

Programmatische, soziologische und politische Charakteristika

Programmatisch verfochten die Fronten nationalistische und restaurative Konzepte: Der Klassenkampf sollte durch einen nationalen Schulterschluss abgelöst werden (Antikommunismus), die parlamentarische Demokratie durch einen autoritären Einheits- und Führerstaat, die freie Marktwirtschaft durch eine korporative Ordnung mit sozialem Ausgleich unter den Berufsständen (Korporativismus, Ständestaat). Dem Antimarxismus der Fronten brachte das rechtsbürgerliche Lager anfänglich einige Sympathien entgegen; darüber hinaus begrüssten katholisch-konservative Kreise den frontistischen Antiliberalismus. Innerhalb der Frontenbewegung sind zwei Richtungen zu unterscheiden: eine gemässigtere, die einigermassen Distanz zu verwandten Strömungen im Ausland hielt; und eine extremere, die sich in Abhängigkeit Deutschlands oder Italiens begab, von dort Gelder bezog, Landesverräter hervorbrachte und eine Satellitenexistenz der Schweiz in Hitlers «Neuem Europa» bejahte. Beide Richtungen waren antisemitisch und zum Teil rassistisch (Antisemitismus).

Soziologisch umfasste die Frontenbewegung eine begrenzte Zahl von Anhängern aus fast allen Bevölkerungs- und Altersschichten: Arbeiter, Angestellte und Bauern, städtische und ländliche Kleinbürger, Akademiker und Offiziere, Gewerbetreibende, Industrielle und Erwerbslose. Das Spektrum reichte von romantisch schwärmenden Jugendlichen bis zu Frauen und Männern gesetzteren Alters. Der idealistische Kern hatte seine Wurzeln in der Zürcher Studentenbewegung und in freisinnigen Akademikertagungen.

Plakat für eine Kundgebung der Nationalen Front in Zürich, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste).
Plakat für eine Kundgebung der Nationalen Front in Zürich, 1937 (Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, Zürcher Hochschule der Künste). […]

Der politische Stil der Fronten glich dem der Vorbilder. Den stürmischen Tatendrang der Gefolgschaft lenkten die Führer in agitatorische Bahnen. Das frontistische Imponiergehabe äusserte sich in Massenaufmärschen mit Fahnen-, Uniform- und Waffenkult, in Demonstrationen unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen, wo – der rechte Arm zum Führergruss erhoben – «Harus!» gebrüllt, Kampflieder gesungen, Brandreden gehalten, Feindbilder gezüchtet und ultimative Drohungen ausgestossen wurden. Dies weckte Urinstinkte der Gewalt. Sprachverrohung, Rechtsbeugung und Prügeleien der mit Stahlruten bewaffneten Schlägertrupps («Harste») eskalierten zu Strassenschlachten (z.B. mit der Zürcher Stadtpolizei an sechs frontistischen Demonstrationen im November 1934 gegen das Kabarett Pfeffermühle und das Schauspielhaus Zürich, oder ein halbes Jahr später mit Schaffhauser Sozialisten im Anschluss an das frontistische Niederbrüllen des Stadtpräsidenten Walther Bringolf). Auch vor Terrorakten wie dem Sprengstoffanschlag auf die Wohnung eines Redaktors der Zürcher Tageszeitung «Volksrecht» im Januar 1934 schreckten die Frontisten nicht zurück.

Der politische Erfolg der Frontenbewegung blieb marginal. Sie erlangte zwar 1933 einen Wähleranteil von 27% bei der Ständeratsersatzwahl in Schaffhausen und dank Listenverbindung mit bürgerlichen Parteien zehn von 125 Gemeinderatssitzen in Zürich. Nach diesen Anfangserfolgen schmolz der Anhang aber rasch zusammen. Die Nationalratswahlen 1935 – die einzigen, an denen sich die Frontenbewegung beteiligte – brachten ihr bei 187 zu vergebenden Sitzen je ein Mandat in Zürich und Genf ein. In vier weiteren Kantonen ging sie leer aus. 1935 scheiterte der frontistische Versuch, das politische System mit einer Totalrevision der Bundesverfassung umzukrempeln. 1937 blieb schliesslich ein Vorstoss zur Unterdrückung der Freimaurer-Logen auf der Strecke.

Ursachen des Scheiterns waren vor allem die Masslosigkeit des politischen Stils und Inhalts, die schablonenhafte Imitation des Gehabes und der Symbolik der Diktaturen in den Nachbarländern sowie die internen Rivalitäten, die zu einer starken Aufsplitterung der rechtsextremistischen Szene führten.

Nach dem siegreichen Westfeldzug der deutschen Wehrmacht im Sommer 1940 erwachte der Frontismus vorübergehend zu neuem Leben. Er fühlte sich durch den Kriegsverlauf rehabilitiert, riet zur Einordnung in das von den Achsenmächten beherrschte «Neue Europa» und verlangte die Säuberung der Schweiz von jenen Politikern und Journalisten, die den kontinentalen Siegermächten feindlich gesinnt seien. Ähnliche Tendenzen verfolgte die von einigen Frontisten mitunterzeichnete Eingabe der Zweihundert vom 15. November 1940. Das Manifest rief nach behördlichen Massnahmen gegen Presseorgane, die sich einer Anpassung an die neuen europäischen Machtverhältnisse widersetzten. Der Bundesrat trat auf diese Forderung nicht ein. Die letzten frontistischen Organisationen verschwanden im Sommer 1943 von der Bildfläche.

Die Fronten der extremeren Richtung

Älteste Front war die 1925 in Zürich gegründete nationalkonservative und antisemitische Heimatwehr. Während der Agrarkrise fasste sie bei den Klein- und Bergbauern des Berner Oberlands Fuss. Für kurze Zeit fraternisierte sie mit dem italienischen Faschismus. Ab 1936 trat sie kaum mehr in Erscheinung; ihre kleinbäuerlichen Anliegen wurden von der Bauernheimatbewegung verfochten.

Als stärkste Front erwies sich in der deutschen Schweiz die ab 1933 mit der Neuen Front vereinigte Nationale Front (1930-1943). Landesführer Rolf Henne steigerte seine nationalsozialistische Weltanschauung zu einer Art Pseudoreligion, von der sein Nachfolger Robert Tobler wieder abrückte. Die 1931 gegründete Nationalsozialistische Eidgenössische Arbeiterpartei (NSEAP) unter Führung des aus Deutschland stammenden Theodor Fischer nahm sich die NSDAP zum Vorbild. 1933 trat das Gros ihrer Anhänger zur Nationalen Front über.

10% Wähleranteile erzielte von 1932 bis 1939 die mit Mussolini sympathisierende Genfer Union nationale unter Georges Oltramare. Als schärfste Gegnerin der Sozialisten war sie in die Entente nationale der bürgerlichen Parteien eingebunden. Nicht nach Mussolinis Marsch auf Rom, sondern erst ein Jahrzehnt später nach Hitlers Machtergreifung gründete Arthur Fonjallaz in Rom die Schweizerische Faschistische Bewegung (1933-1936), die eine winzige Gruppierung ohne Einfluss blieb.

Titelblatt der zweimal im Monat erscheinenden Zeitschrift Le Pilori (Der Pranger) vom 26. Februar 1937 (Privatsammlung).
Titelblatt der zweimal im Monat erscheinenden Zeitschrift Le Pilori (Der Pranger) vom 26. Februar 1937 (Privatsammlung). […]

1933 trennten sich Ernst Leonhardt und Emil Sonderegger von der Nationalen Front und gründeten den noch extremeren Volksbund (auch Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei NSSAP genannt). Nachfolgerin war die Schweizerische Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie SGAD (1938-1940). Emil Sonderegger hatte sich bereits 1934 vom Volksbund abgesetzt. Seine Volksfront (1934-1936) blieb aber ebenso bedeutungslos wie der Nationaldemokratische Schweizerbund (1935-1942) des Einzelgängers René Sonderegger, der zunehmend mit Hitler sympathisierte.

Abspaltungen von der Nationalen Front gab es auch später: 1936 rief Ernst Hofmann die nationalsozialistische Eidgenössische Soziale Arbeiter-Partei (ESAP) ins Leben. Sie wurde vor allem von Unternehmern der Chemie- und der Nahrungsmittelindustrie finanziell unterstützt. 1938 gründeten die Nationalfrontisten Hans Oehler und Alfred Zander den Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung (BTE). Beide Organisationen gingen 1940 in der von Deutschland aus gesteuerten Nationalen Bewegung der Schweiz (NBS) auf, deren Vertreter zwecks Orientierung «über ihre politische Zielgebung» am 10. September 1940 von Bundespräsident Pilet-Golaz empfangen wurden, was von rechts bis links auf Missbilligung stiess. Zwei Monate später löste der Bundesrat die NBS auf.

1941-1944 rivalisierte in Deutschland der Bund der Schweizer in Grossdeutschland (BSG) unter Otto Lienhard bzw. Hans Frei mit dem Nationalsozialistischen Schweizerbund (NSSB) unter Franz Burri. Beide Auslandschweizerbünde stellten der schweizerischen Unabhängigkeit die Idee eines grossgermanischen Einheitsstaates entgegen. Nach Kriegsende wurden die Aktivisten vom Bundesgericht zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Die Fronten der gemässigteren Richtung

Auch den gemässigteren Fronten war in der Regel keine lange Lebensdauer beschieden. Die Eidgenössische Front / Eidgenössische Aktion (1931-1939) war im Referendumskampf gegen ein AHV-Gesetz entstanden. Sie nahm unter dem germanophilen Wilhelm Frick aristokratische und faschistoide Züge an. Die Mittelstandsbewegung Neue Schweiz (1933-1936) der Brüder Fritz und Erwin Joss verteidigte die Interessen von Handwerk und Gewerbe gegen Warenhäuser und Grosshandelsunternehmen. Der vornehme Bund für Volk und Heimat (BVH, 1933-1936) mit Peter Dürrenmatt als Zentralsekretär kämpfte gegen Staatssozialismus, Zentralismus und Etatismus, ging jedoch bald im Redressement National auf. Das katholische Aufgebot (1933-1939) unter Führung des ehemaligen Sozialisten Jacob Lorenz setzte sich für eine korporative Ordnung der Wirtschaft ein. Der Lega nazionale ticinese (1933-1938) gelang es, in die Legislative des Kantons Tessin und einiger Gemeinden einzudringen. Die von Alfonso Riva geführte Formation hatte Zuzug aus dem rechten Flügel des Freisinns und der Konservativen erhalten. Bis heute überlebt hat einzig die 1933 gegründete Ligue vaudoise von Marcel Regamey. Ihre ultraföderalistische Gegenutopie zum zentralistischen Bundesbern hat zwar einen Zug ins Separatistische, wirkt aber anziehend auf jene rechtsbürgerlichen Kreise, die sich nach grösserer Autonomie ihrer Waadtländer Heimat sehnen.

Kundgebung der Frontisten im Grauholz bei Bern, 23. Mai 1937 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Kundgebung der Frontisten im Grauholz bei Bern, 23. Mai 1937 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Die Neue Rechte in der Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der Rechtsextremismus eine Renaissance. Den Anfang machte Altfaschist Gaston-Armand Amaudruz mit seinem 1951 gegründeten Nouvel Ordre Européen. Die Bewegung lehnte sich an die nationalsozialistische Rassenideologie an, verlor aber in den 1970er Jahren an Bedeutung. Ab 1985 entstanden vorübergehend einige Gruppierungen, die sich am Frontismus der Zwischenkriegszeit orientierten: Im Aargau die Neue Nationale Front (1985-1987), in Winterthur die Neue Front / Eidgenössische Sozialisten (1988-1989), in Schaffhausen auf dem Hintergrund der Skinhead-Szene die Nationalrevolutionäre Partei der Schweiz (1989-1990), in der Innerschweiz schliesslich die medienwirksam auftretende Patriotische Front (1988-1991) unter der Führung von Marcel Strebel, der bei den Nationalratswahlen 1991 im Kanton Schwyz einen Stimmenanteil von 6,4% erzielte. All diesen Organisationen haftete das Stigma der Gewalttätigkeit an (Angriffe auf Ausländer, Anschläge auf Asylunterkünfte).

Für Unruhe sorgten auch einige «Revisionisten» (oder «Negativisten»), die die Judenvernichtung im nationalsozialistischen Deutschland leugneten oder verharmlosten. Am bekanntesten war in der Romandie Mariette Paschoud, eine der wenigen Frauen in der rechtsextremistischen Szene seit 1986, und in der Deutschschweiz Max Wahl, der in seiner Zweimonatsschrift «Eidgenoss» (1975-1994, Auflage bis zu 10'000) revisionistische Thesen verfocht. Zahlenmässig blieb das faschistisch-nazistische Milieu mit seinen 300 bis 400 Anhängern unbedeutend. Einen gewissen politischen Einfluss übte es jedoch insofern aus, als es mit seinem übersteigerten Nationalismus und seiner radikalen Fremdenfeindlichkeit eine gewisse Bevölkerungsschicht ansprach. Diese Stimmungslage verhalf ab den 1990er Jahren den rechtspopulistischen Akteuren in der SVP zu propagandistischen und parteipolitischen Erfolgen.

Quellen und Literatur

  • B. Glaus, Die Nationale Front, 1969
  • W. Wolf, Faschismus in der Schweiz, 1969
  • K.-D. Zöberlein, Die Anfänge des dt.-schweiz. Frontismus, 1969
  • G. Waeger, Die Sündenböcke der Schweiz, 1971
  • J. Frischknecht, Schweiz, wir kommen, 1991
  • C. Cantini, Les ultras, 1992 (mit Bibl.)
  • U. Altermatt, D. Skenderovic, «Die extreme Rechte», in Rechtsextremismus in der Schweiz, hg. von U. Altermatt, H. Kriesi, 1995, 13-155
  • Intellektuelle von rechts, hg. von A. Mattioli, 1995
  • R. Butikofer, Le refus de la modernité, 1996
  • D. Dosi, Il cattolicesimo ticinese e i fascismi, 1999, v.a. 143-165
Weblinks

Zitiervorschlag

Walter Wolf: "Frontenbewegung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017405/2006-12-01/, konsultiert am 21.11.2024.
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